„Sex and Crime forever“
Capelight Pictures bringt die ungekürzte Fassung von BOUND – GEFESSELT (1996) im schicken Mediabook auf den Markt. Grund genug für uns, noch einmal genauer ein Auge auf das Regiedebüt der Wachowskis zu werfen.
Regiedebüt
Die Wachowskis – Ende 2010 festigte sich diese Post-Transgender-Bezeichnung anstelle des vorherigen ‚Wachowski Brothers‘ – sind selbst so schillernd und vielseitig wie ihre künstlerischen Ergüsse. Neben all der Publicity rund um die MATRIX-Filme (1999-2003), ihrem besonderen Privatleben oder auch weniger geschätzten Werken wie SPEED RACER (2008) darf man Eines nicht vergessen: sie waren und sind bis heute fulminante Filmemacher, die gekonnt mit Bildern erzählen können. Nicht nur aufgrund des erotischen Gehalts und der Hervorhebung queerer Charaktere, sondern gerade in narrativer und ästhetischer Hinsicht bleibt BOUND, ihr Regiedebüt, bis heute sehr interessant. Die noch jungen Gina Gershon und Jennifer Tilly brillieren in dem spannenden Heist-Movie, der dem Frauenduo bewusst größere Aufmerksamkeit einräumt als den männlichen Mit- und Gegenspielern. BOUND gilt schon länger als Kultfilm, bleibt – wenngleich erzählerisch ganz anders – ähnlich wichtig wie der erste MATRIX-Film.
Handgemacht
Wenn man BOUND nach einigen Jahren erstmals wieder sieht, fällt einem sogleich der handwerkliche, handgemachte Stil des Films auf. Echte Sets, haptische Effekte, tolle Kamerafahrten, sorgfältige Lichtsetzung, wunderschöne echte Körper, die in engen Kontakt mit sich selbst und ihrem Umfeld in Verbindung gebracht werden. Natürlich bleibt dies alles auch dem Entstehungsjahr 1996 geschuldet, als noch vorwiegend real gearbeitet wurde. Doch man wird nicht müde zu betonen, wie erfrischend dies, auch in Bezug auf die fortschreitende Ästhetik der Wachowskis, im Auge des Betrachters erscheint.
BOUND zieht den Zuschauer durch seine besondere Sensitivität in den Bann, wir bleiben gefesselt, wenn wir der körperlichen und seelischen Annäherung der von Gershon und Tilly gespielten Figuren beiwohnen dürfen: wenn sich Gershons Hände in ihrer Rolle als sportliche Handwerkerin entschlossen um das Abflussrohr eines Waschbeckens legen und die Kamera in Zeitlupe und Nahaufnahme das Tropfen des Wassers entlang ihrer Arme zum erotischen Akt stilisiert; wenn das filmische Auge voyeuristisch und beinahe pornografisch die heiße Liebe der beiden Frauen bezeugt, durch gleitende Bewegungen schier selbst daran teilnimmt; wenn zuletzt der männliche Körper eins wird mit seinem schicksalhaften Umfeld, sich echte weiße Wandfarbe mit dickflüssigem Kunstblut zu einem Gemälde von ganz eigener physischer Qualität verbinden. In solchen Szenen hat man die CGI-Gewitter der späteren Science-Fiction-Filme der Wachowskis völlig vergessen und darf völlig aufgehen im etwas kleineren, doch stets als echt und unmittelbar spürbaren Kino.
Zu den Motiven, die die Wachowskis in ihren folgenden Filmen noch stärker fokussierten, zählen in BOUND bereits die Inszenierung geschlossener Räume (häufig aus Vogelperspektive), um das Klaustrophobische spürbar werden zu lassen sowie (analoge) Telefone und deren Betonung einer intimen kommunikativen Verbindung zwischen Menschen. Wer nach einer erneuten Sichtung des ersten MATRIX-Films ungebremst fasziniert von der Vernetzung der dort so stilvoll inszenierten Telefonanlagen blieb, der sollte allein schon deshalb BOUND in seinem Regal stehen haben.
Zur handwerklichen Raffinesse zählt zuletzt auch das Drehbuch. Die Wachowskis verfassten selbst eine ausgeklügelte Hommage an den Film noir, einen „Modern Noir“, wie er oft bezeichnet wird, und bauen allerhand Überraschungsmomente in Form von Wendungen und unerwarteten Entwicklungen mit ein. Der bewusste Fokus auf Stimmung, Dialog, die Figuren für sich, macht BOUND zu etwas ungezwungen Originellem, dem durchweg eine natürliche Coolness innewohnt.
Joe Pantoliano
Ein bisschen überrascht hatte es mich nach all den Jahren, dass Joe Pantoliano in der Rolle des männlichen Mackers und Mafia-Handlangers ab der zweiten Hälfte doch sehr viel Raum gegeben wird. Zurecht, darf man festhalten, denn der Herr gibt in BOUND eine teuflisch gute Performance ab und stellt bisweilen die darstellerischen Qualitäten der weiblichen Hauptfiguren in den Schatten. (Es war Grund genug für die Wachowskis, ihn drei Jahre später als wichtige Nebenfigur in MATRIX wieder mit dabeihaben zu wollen.) Mit einem Storytwist dreht Pantoliano in seiner Rolle erst so richtig auf und zeigt die volle Bandbreite seines schauspielerischen Könnens.
Die überschlagenden Emotionen und psychischen Kniffe, die bereits im Drehbuch vorgegeben sind, fängt der Mime in allen Facetten seines Spiels ein: homophobe Arroganz, lauernde Zurückhaltung, euphorische Erleichterung und immer wieder komatöse Verzweiflung über eine Lage, der er nie ganz Herr werden kann. Bei der erneuten Sichtung fiel es mir noch stärker auf: Gina Gershon, die den ersten Akt in BOUND mit dominiert, fällt im Rahmen des Dreiecksspiels zu Gunsten von Pantoliano in der zweiten Hälfte merklich zurück. Man könnte hier mit einem Vergleich aus dem Comic-Fach argumentieren: der Held ist nur so gut wie sein Gegenspieler. Wenn also Pantoliano als Antagonist einfach alles gibt, nutzt es letztlich den beiden Frauenfiguren umso mehr, um als ultimative Heldinnen hervorzugehen.
Das Mediabook von capelight pictures
Hier ist BOUND als Blu-ray und DVD enthalten, dabei stets im von den Regisseuren freigegebenen Unrated bzw. Director’s Cut. Dieser ist 13 Sekunden länger als die Kinoauswertung, dabei etwa 11 Sekunden „heißer“ und 2 Sekunden „härter“ – Einstellungen, die damals für das erforderliche R-Rating weichen mussten. Das Bild ist gut, wenngleich ich hier keine brandneue Restauration ausmachen konnte, der HD-Transfer bewegt sich im guten Mittelfeld. Im Booklet schreibt der ZDF-Redakteur Daniel Wagner alles zur Geschichte des Films und auch im audiovisuellen Bonus-Bereich auf den Discs gibt es Vieles zu entdecken:
- Audiokommentar mit den Wachowskis, Jennifer Tilly, Gina Gershon, Joe Pantoliano, Zach Staenberg (Schnitt) und Susie Bright (Beratung)
- „Femmes fatales“ – Interviews mit Gina Gershon und Jennifer Tilly
- „Hail Caesar“ – Interview mit Joe Pantoliano
- „Here’s Johnny!“ – Interview mit Christopher Meloni
- „Modern Noir“ – Interviews mit Bill Pope (Kamera), Zach Staenberg (Schnitt) und Don Davis (Musik)
- Vintage Featurette & Trailer
Fazit
Gelungene Debütfilme von forcierten Filmemachern (wieder) zu entdecken, macht immer große Freude. Vor einiger Zeit schrieb und sprach ich begeistert über BLOOD SIMPLE (1984) der Coen-Brüder. Nicht zuletzt im Thema und der Ästhetik hat dieser Geschwister-Film, BOUND, einiges gemeinsam. Man merkt, welche Energie in eine fesselnde Crime-Story und deren besondere Umsetzung gesteckt wurde und damit genug Antrieb für eine ganze Filmkarriere befeuert wurde. BOUND sei jedem Zuschauer (erneut) ans Herz gelegt, auch denjenigen, die mit MATRIX & Co. nur wenig anfangen können. Das vorliegende Mediabook darf als sehr schöne und würdige Umsetzung gelten und wir freuen uns wie immer, bald mehr vom Label besprechen zu dürfen.
Titel, Cast und Crew | Bound – Gefesselt (1996) |
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Poster | |
Release | ab dem 20.09.2019 im Mediabook (Blu-ray+DVD) und DVD Ihr wollt den Film bei Amazon kaufen? Dann geht über unseren Treibstoff-Link: Oder direkt beim Label bestellen >>> |
Regisseur | Lana Wachowski Lilly Wachowski |
Trailer | |
Besetzung | Jennifer Tilly (Violet) Gina Gershon (Corky) Joe Pantoliano (Ceasar) John P. Ryan (Mickey Malnato) Christopher Meloni (Johnnie Marzzone) Richard C. Sarafian (Gino Marzzone) Mary Mara (Sue) |
Drehbuch | Lilly Wachowski Lana Wachowski |
Kamera | Bill Pope |
Musik | Don Davis |
Schnitt | Zach Staenberg |
Filmlänge | 109 Minuten |
FSK | ab 16 Jahren |
Liebt Filme und die Bücher dazu / Liest, erzählt und schreibt gern / Schaltet oft sein Handy aus, nicht nur im Kino / Träumt vom neuen Wohnzimmer / Und davon, mal am Meer zu wohnen