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Border 2018 Filmkritik

Border (2018) – Filmkritik

„Seiner Natur folgen“

Manchmal geht man aus dem Kino und denkt darüber nach, was man besseres mit seiner Zeit hätte anstellen sollen. Oder aber man verlässt das Gebäude, ist sich zu 100 Prozent sicher, eben ein Meisterwerk gesehen zu haben und will sofort ein Ticket für die nächste Vorstellung lösen. Dann gibt es natürlich noch die vielen durchschnittlichen Erlebnisse, die man am nächsten Tag schon vergessen hat. Wie ein Wildfang weigert sich BORDER in eine dieser Kategorien zu passen. Das liegt nicht an dessen Qualität, sondern an der ungewöhnlichen Wirkung, welche von diesem Mix aus Mystery, Fantasy, Nordic Noir und Liebesfilm ausgeht. So eine cineastische Reise gab es noch nie, genauso wenig wie ihre Protagonistin.

Border 2018 Filmkritik
© Meta Spark & Kärnfilm AB

Handlung

Tina (Eva Melander) lebt als Zollbeamtin an der schwedischen Küste und kontrolliert Fähren, die von Dänemark anlegen. Sie ertappt mit Hilfe ihres ungewöhnlichen Geruchsinns auch noch die cleversten Schmuggler. Was Tina jedoch auf den ersten Eindruck auszeichnet, ist ihr Aussehen. Starke Konturen und tief liegende Augen prägen ihr Gesicht. Sie  scheint auch eher die Zähne eines Tieres zu besitzen als eines Menschen. Ihre Kollegen und Mitmenschen haben sich jedoch an sie gewöhnt. Ihr Erscheinen wird als genetischer Defekt abgetan. Als Frau steckt die 40-Jährige in einer vom Alltag dominierten Sackgasse. Ihr Vater leidet unter den ersten Symptomen von Demenz und ihr Freund konzentriert sich eher auf seine Rottweiler-Zucht als um sie. Tiefe Zufriedenheit empfindet sie nur, wenn sie barfuß durch den märchenhaften Wald um ihr Grundstück spaziert und mit dessen Bewohnern interagiert. Aber die Routine findet ein Ende mit der Ankunft von Vore (Eero Milonoff). Ein scheinbar männliches Pendant zu ihr. Aber das ist gar nicht das Ungewöhnliche an ihm, denn Vore scheint den Grund seiner Existenz zu kennen.

Border 2018 Filmkritik
© Meta Spark & Kärnfilm AB

Aus dem Reich der Sagen

Mehr möchte man hier gar nicht verraten und jeder interessierte Leser sollte es tunlichst vermeiden, den Wikipedia-Artikel zum Film zu lesen. Der Trailer trifft die Stimmung auf den Punkt und raubt keineswegs dessen Überraschungen. BORDER ist in seiner ganzen Mischung aus verschiedensten Genres vor allem ein Film über die Suche nach sich selbst. Man kann ihm auch wegweisende Richtungen für eine emanzipierte Frau zusprechen, aber das würde den Film zu sehr reduzieren. Die Geschichte beginnt dort, wo ein äußerer Einfluss, in Form von Vore die Protagonistin aus ihrer Routine befreit, aber eigentlich war dies bei Tina längst überfällig und eine Frage der Zeit. Das macht das Ende auch umso wichtiger, denn dann wissen wir, dass die Entwicklung allein ihr zuzuschreiben ist.

Border 2018 Filmkritik
© Meta Spark & Kärnfilm AB

Die bebilderte Natur

Der schwedische Filmemacher mit iranischen Wurzeln, Ali Abbasi, lässt die Geschichte durch die Bilder und das minimale Mimenspiel der Hauptdarstellerin Eva Melander, die 20 kg für die Rolle zunahm und jeden Tag vier Stunden in der Maske verbrachte, stetig voranschreiten. Aber immer mit dem Ohr am Waldboden der Natur und dessen Bewohnern. Vielleicht stört ein animiertes Tier manchmal den Genuss dieser Aufnahmen, aber dennoch verbindet es nicht nur Tina mit Mutter Erde, sondern auch die Besucher des Kinosaals. Die Aufnahmen des Kameramanns Nadim Carlsen ergötzen sich nicht an Instgram-Optiken mit göttlichen, lichtdurchfluteten Waldlichtungen, sondern zeigt die Welt wie sie ist, bei trübem Wetter oder bei Regen, der in den Pfützen Blasen schlägt. Das macht BORDER nicht nur durch seinen Inhalt zu einem skandinavischen Kulturblick, sondern auch zu einer Reise in dessen Klima und Vegetation.

Border 2018 Filmkritik
© Meta Spark & Kärnfilm AB

Das Filmerlebnis

Der Film steht und fällt mit der Empathie der Zuschauer zu seiner Protagonistin. Man muss zugeben, dass man bei der ganzen glattgebügelten und anatomisch veränderten Schauspielriege, die auf jedem Kinoplakat ihre Betrachter angrinst, erhebliche Startschwierigkeiten mit Tina hat. Aber wer eine Beziehung zu ihr aufbaut, die dem Beobachten eines fremden Wesens nicht unähnlich ist, wird erkennen, dass die eigenen Wünsche und Bedürfnisse auch Tina in ihrem Verhalten beeinflussen. Was bei den grotesken Bildern und Szenen, die sich bei manchen ins cineastische Gedächtnis brennen werden, fehlt, ist der Fokus auf eine konkrete Aussage. Sicherlich ist es schön immer genug Raum für eigene Interpretationen und moralische Deutungen zu haben, aber vor allem am Ende fehlt es, den Zuschauer noch einmal an die Hand zu nehmen und nach dieser verrückten Reise zu beruhigen. Vor allem den typisch nordischen Kriminal-Handlungsstrang hätte es gar nicht gebraucht, aber etwas Unterhaltungswert möchte man seinen Zuschauern nicht verwehren.

Border 2018 Filmkritik
Photo: Christian Geisnæs © Meta Spark & Kärnfilm AB

Fazit

Für Diskussionen und Deutungen hat BORDER mehr zu bieten als man vor dem Kinobesuch erwartet. Aber vor allem zum Schluss fehlt es an einem konkreten Schwerpunkt und einer simplen Aussage. Dieses schwedische Fantasy-Drama, wenn man es so nennen möchte, bleibt auf jeden Fall eines der intensivsten Kinoerlebnisse in diesem Jahr und wurde zu Recht in Cannes in der Sektion „Un Certain Regard“ (dt. „Ein gewisser Blick“) ausgezeichnet. Ein Filmtipp für diejenigen, die meinen im Kino schon alles gesehen zu haben.

Titel, Cast und CrewBorder (2018)
OT: Gräns
PosterBorder 2018 Filmkritik
Releaseab dem 11.04.2019 im Kino
ab dem 16.08.2019 auf Blu-ray und im Mediabook
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RegisseurAli Abbasi
Trailer
BesetzungEva Melander (Tina)
Eero Milonoff (Vore)
Jörgen Thorsson (Roland)
Ann Petrén (Agneta)
Sten Ljunggren (Tinas Vater)
Buchvorlagebasiert auf der Kurzgeschichte GRÄNS von John Ajvide Lindqvist
KameraNadim Carlsen
MusikChristoffer Berg
Martin Dirkov
SchnittOlivia Neergaard-Holm
Anders Skov
Filmlänge110 Minuten
FSKab 16 Jahren

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