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Blue Giant (2023) – Filmkritik

Endlich einmal wieder ein Anime ohne Fantasy oder Science-Fiction. Versteht mich nicht falsch, japanische Animationsfilme spielen diese fantasiereichen Genres perfekt aus, aber Animes können ebenfalls tolle emotionale Geschichten aus der Realität erzählen. Neben den vielen Liebesgeschichten von Teenagern visualisieren sie immer wieder Leidenschaften wie Sport oder Musik. BLUE GIANT zeigt den Weg eines jungen Jazz-Trios zum Erfolg bzw. hört kurz davor, wie in WHIPLASH (2014) auf. Der übliche Karriereverlauf mit allen Höhen und Tiefen wurde schon so oft erzählt, hier geht es an den Ursprung, wo das junge Talent und die Leidenschaft unermesslich sind.

© Plaion Pictures/KSM Anime

Handlung

Dai spielt seit wenigen Jahren Tenorsaxophon. Den Basketball-Club hat er verlassen, um sich auf seine neue, große Leidenschaft zu konzentrieren, dem Jazz. Der beste Saxophonist wird man aber nicht in einer Kleinstadt. Er reist nach Tokyo und kommt dort bei seinem Freund Shunji unter. Dai arbeitet auf dem Bau und zum Feierabend übt er unter einer Brücke bis tief in die Nacht. In einem Jazzclub trifft er auf den Pianisten Yukinori, der genauso jung wie Dai ist, aber schon seit dem Kindesalter Klavier spielt. Eine schlecht besuchte Jazz-Bar wird ihr Proberaum. Doch es fehlt noch ein Schlagzeuger. Dai fragt einfach seinen Mitbewohner. Shunji zeigt jede Menge Eifer und den Willen zu lernen. Er lässt die Uni und den Fußball links liegen und stürzt sich in die rhythmische Musik. Die Drei sind nun ein Jazztrio namens Jass, das unbedingt noch in diesem Jahr in der berühmtesten Jazz-Location Japans spielen will, dem So Blue.

Vom Manga zur Musik

Ein bisschen schwer vorstellbar ist, dass bei diesem intensiven Soundtrack und Themenschwerpunkt BLUE GIANT eine Graphic-Novel-Vorlage hat. Aber es geht nicht nur um die Musik, sondern um das Erwachsenwerden. Was ist einem wichtig und was will man später werden? Vor allem in dem auf Karriere kultiviertem Japan ist ein Teenager, der Jazz-Musiker werden will, ein Bruch mit dem sicheren Lebensunterhalt. Doch bei Dai gibt es an diesem Lebensziel keinerlei Zweifel. BLUE GIANT sucht nicht nach dem Grund des Erfolgs, sondern zeigt die Dynamik des Beginns.

© Plaion Pictures/KSM Anime

Im Jazz sind Musiker meist Einzelgänger, die hin und wieder in verschiedenen Arrangements spielen und die Mitglieder von Jass könnten nicht unterschiedlicher sein. Das Super-Talent Dai mit unermesslicher Motivation, das handwerkliche Genie Yukinori und der Anfänger Shunji. Das birgt die Möglichkeit sich in drei verschiedenen Charakteren wiederzufinden. Vor allem Shunji mit Kaltstart in diese manchmal sehr verkopfte Musikrichtung zu sehen ist eine Freude. Der Film zieht seine Spannung aus der Beziehung dieser drei Musiker zueinander und welche Aspekte ihnen wichtig sind. Jazz ist mehr als Improvisation und Technik.

Die coole Jass-Edition für die Filmsammlung (BD+DVD+OST)

Charaktere

Gute Musiker nutzen ihre Emotionen für ihre Kunst. Diese drei Figuren sind vielleicht etwas zu flach gezeichnet, um wirklich intensive Vergangenheitsbewältigungen in Noten zu gießen. Das macht es für das „normale“ Publikum zugänglicher, wer würde nicht gern einfach morgen Schlagzeuger werden, aber man vermisst das Drama und die emotionale Zerrissenheit in den Figuren. Zum Finale dreht BLUE GIANT überraschenderweise an dieser Stellschraube, doch es fühlt sich dennoch etwas zu spät an. Zusätzlich hätte noch etwas mehr Jazzwissen in die Geschichte einfließen können. Es gibt so viele tolle Geschichten über Jazz- und Blues-Musiker*innen, welche, passend zur Handlung, dem Film mehr Tiefe verliehen hätte. Eine Anime-Empfehlung, die das Thema besser umsetzt, wäre die Serie KIDS ON THE SLOPE (2012) von Shinichirō Watanabe.

© Plaion Pictures/KSM Anime

Die Musik

Auf Grund der fehlenden Beziehungssuche oder Liebesgeschichte, da sich BLUE GIANT ausschließlich auf die Musik konzentriert, fehlt es an weiblichen Charakteren. Es muss nicht gleich im Herzschmerz enden, aber ein paar Frauen oder Teenagerinnen, abgesehen von der Barinhaberin, kommen fast nie zu Wort. Die Drei leben in einer Männerwelt mit hauptsächlich männlichem Publikum. Die reale Quote von männlichen Jazz-Fans ist sicherlich hoch, doch etwas femininer Einfluss auf die Handlung hätte BLUE GIANT bereichert. Umso mehr freut es, dass für den Soundtrack die japanische Musikerin und Komponistin Uehara Hiromi, verantwortlich ist. Die Grammy-Gewinnerin spielt selbst Piano und gilt als „eine der weltbesten und erfolgreichsten Künstlerinnen im Bereich der Jazz-Rock-Fusion, die mit ihrer Virtuosität, ihrer haarsträubenden Energie und ihrem Spielspaß einiges an Frische in dieses eigentlich totgespielte Genre bringt.” (JazzEcho). Na, wenn das nicht zu einer Coming-of-Age-Geschichte passt.

© Plaion Pictures/KSM Anime

Fazit

Man merkt die Abwesenheit der zu Grunde liegenden komplexeren Manga-Geschichte deutlich. Dennoch ist BLUE GIANT eine Freude nicht nur Jazz-Fans. Der Soundtrack trifft den Takt einer jungen, neuen Generation und die Auftritte entfesseln eine visuelle Stärke, die man zuletzt in drogengeschwängerten Trips der 1970er-Filmjahre gesehen hatte.

© Christoph Müller

Titel, Cast und CrewBlue Giant (2023)
Poster
Releaseseit dem 20.06.2024 in der limitierten Jass-Edition (Blu-ray + DVD + Audio-CD) erhältlich.

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RegieYuzuru Tachikawa
Trailer
DrehbuchNumber 8
Vorlagebasiert auf der Manga-Reihe von Shinichi Ishizuka
MusikUehara Hiromi
SchnittHirose Kiyoshi
Filmlänge120 Minuten
FSKab 12 Jahren

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