„Zahme Rebellion“
Erwartungen an einen Film sind so verschieden wie die Menschen, die ihn sehen. Etwas zu lernen kann eine Motivation sein oder man will einfach eine gute Zeit haben. Bei BLUE BEETLE ist es aber enorm schwer sich ohne lauwarme Erwartungen diesem Actionfilm zu nähern, weil er nun einmal in einer Zeit veröffentlicht wird, in der Superhelden nonstop unsere Aufmerksamkeit einfordern. Frische Geschichten und coole Charaktere lassen Marvel- und DC-Verfilmungen schön länger vermissen und dann soll man sich noch einen Film ansehen, dessen Held man vielleicht gar nicht kennt und nicht bereits tausendfach auf Merchandise-Artikeln abbildet ist? Vielleicht ausgerechnet deswegen! Denn der Held Blue Beetle, der bereits seit 1939 in Comicheften seinen gerechten Kampf führt, wird nicht jedem geläufig sein. Seit den 1980er Jahren kämpfte Blue Beetle nur noch in den Heften des DC-Verlags und 2023 feiert er sein Spielfilmdebüt. Aber was unterscheidet den azurblauen Kämpfer von den anderen Maskenträgern? Eigentlich gar nichts, abgesehen von einer Runderneuerung in den 2000er-Jahren, die vor allem im derzeitigen interkulturell-orientierten Filmstudiointeresse – also man will weltweit viele Dollars einnehmen – gut ankommt. Denn mit BLUE BEETLE bekommt die mittel- und südamerikanische Bevölkerung wie auch die hispanoamerikanischen Gemeinschaft nicht nur einen jungen Helden aus „ihren Reihen“ gestellt, sondern er soll auch die kulturellen Lebensstile Millionen von Menschen, die alle noch einmal diverse Untergruppen ausweisen, darstellen. Eine ziemliche Mammutaufgabe für einen Käfer, aber der BLACK PANTHER hat es mit seinem Milliardenumsatz vorgemacht.
Handlung
Sonne satt in Palmera City, Jaime Reyes (Xolo Maridueña) hat den Abschluss am Gotham College gemacht und kehrt zu seiner Familie zurück. Jetzt heißt es, einen gut bezahlten Job finden, um den Studienkredit zu tilgen. Jedoch lebt seine Familie auf der nicht so schillernden Seite der Stadt in einem kleinen Mehrgenerationenhaus, das sowieso bald abgerissen wird, weil die Reyes nicht mehr die Miete zahlen können. Außerdem hat Vater Alberto (Damián Alcázar) ein schwaches Herz und musste operiert werden. Das alles wollte die Familie dem jungen Studenten nicht zumuten, damit er sich auf seinen Abschluss konzentrieren kann, aber dafür treffen ihn die Existenzsorgen umso heftiger. Jetzt heißt es, den erstbesten Job annehmen. Zusammen mit Schwester Milagro (Belissa Escobedo) putzen sie in die Villa der Chefin des Großkonzerns KORD: Victoria Kord (Susan Sarandon). Die hat zum Entsetzen ihrer Nichte Jenny (Bruna Marquezine) Großes mit dem Rüstungs-Sektor der Familie vor. Dank eines technischen Reliktes in Form eines blauen Skarabäus rüstet sie eine Privatarmee auf, auch dank ihres treuen Prototyps Conrad Carapax (Raoul Max Trujillo). Doch der Super-Käfer gerät in die Hände von Jaime und der verwandelt ihn unfreiwillig in Blue Beetle.
Kopie oder Neuinterpretation?
Ja, die grobe Geschichte ist uns in Comics wie auch deren Verfilmungen schon das ein oder andere Mal unterkommen. Marvel hat die Spinne aus der Nachbarschaft und DC hat eben einen Käfer auf mediterraner Spielwiese. Aber das kann man dem Film BLUE BEETLE nicht anlasten, denn die Story verdankt das Abenteuer nun mal seiner Comicvorlage. Film ist dazu da, das aus der Geschichte zu kitzeln, was die bunten Hefte nicht können. In der Regel jede Menge Emotionen, dank einer Hauptfigur, in die das Publikum bereit ist, hinzuschlüpfen. Und die ist ein cleverer junger Erwachsener, der seiner Familie Wohlstand bringen will, ihm aber die Verantwortung über eine enorme intergalaktische Macht namens Khaji-Da (gesprochen im Original von Becky G) einen Strich durch die Rechnung macht. Das heißt aber nicht, dass das eine das andere ausschließt.
Der Schurke, der machtgierige Konzern, der Anzug mit Nanotechnologie, die enormen Energieressourcen, die Fähigkeit jede Art von Waffe zu erstellen (Hallo Green Lantern) und die Hauptaufgabe mit der fremden Macht eine Symbiose einzugehen, ist schon oft erzählt worden. Vielleicht nicht in lila und blauen Farben, aber die narrative Konstruktion ist bereits allgegenwärtig und mit jeder weiteren Filmminute erahnbar. Aber das macht das Genre eben aus, ein Held zu werden, auch wenn diese hier nicht auf besonders originelle Art erzählt wird. Was setzt BLUE BEETLE aber dennoch von seinen Duplikaten ab?
Familienbande
Die große Besonderheit und einer der gewichtigen Pluspunkte von BLUE BEETLE ist die Familie Reyes. Onkel Rudy (George Lopez) ist ein Techniker, der seinen Pick-up innig liebt, aber bei der Familie auf der Couch schläft. Die Großmutter (Adriana Barraza) sorgt für heimelige Atmosphäre im trauten Heim, hat aber ein paar verdrängte Revolutionsabenteuer im Gepäck. Die Familie ballt sich um den Sohnemann und seine neue Aufgabe. Während es in anderen Filmen, nur einen Schulterklopfer gibt oder ein Mitglied als Geisel einmal herhalten muss, drehen die Reyes zum Finale kräftig auf und mischen beim Showdown mit. Dank der Retrokomponente mit Gimmicks des vorherigen Blue Beetle (Millionär mit Gerechtigkeitsbedürfnis und Tech-Affinität – Hallo Bruce Wayne) funktioniert der Mehrgenerationen-Finalkampf auf unterhaltsame Weise. Es sind keine Momente für die Ewigkeit, aber kurzweilige Unterhaltung. Das Thema Familie ist auch eins der ersten Dinge, die einem bei mittel- und lateinamerikanischen Bürgern bzw. Hispanics als erstes einfällt. Was erfüllt BLUE BEETLE aber darüber hinaus mit temperamentvollem Leben?
Especiales
Der Kampf zwischen arm und reich ist nicht gerade ein Thema was nur die Kulturen in dieser fiktiven Stadt namens Palmera City (eine architektonische Mischung aus Shanghai und Miami) umtreibt. Der Konflikt ist universell und bringt etwas Aktualität ins Drehbuch. Zugegeben die derzeitige gesellschaftliche Ordnung setzt alles daran, dass sich superreich und bettelarm nie begegnen – aber hier geschieht eben Hollywoodmagie. Außerdem gibt es die Liebe zu gutem Essen, lebendigen Farben, viel Freiheit, nachbarschaftlicher Hilfe und dem Wrestling – der Lucha Libre. Neben den ganzen technischen Gimmicks, die Khaji-Da für unseren jungen Helden bereithält, bekommen wir auch ein paar handfeste Manöver und Würfe zu sehen. Ein richtig spannendes Kräftemessen kommt jedoch nicht zu Stande, was dem unscharfen CGI-Gewitter und dem fehlenden Stärkeangaben zu verdanken ist. Wenn man unbekannte und übernatürliche Kräfte ins Spiel bringt, muss man immer ein paar Referenzwerte anbieten, so dass das Publikum weiß, welche Energien im Kampf aufeinanderprallen (Wer ist schneller, Superman oder The Flash?). BLUE BEETLE beschränkt sich auf Prozentskalen und ein paar bunte Lichter. Außerdem fehlt das Zusammenführen von Mensch und Superkraft. Mit dem Moment im Jenseits (die wir dank Filmen wie COCO (2017) oder MANOLO UND DAS BUCH DES LEBENS (2014) kennen), will uns das Drehbuch und Regisseur Angel Manuel Soto erklären, was nun passiert, aber können wir es nachvollziehen? Der Entwicklungsprozess unseres Helden ist viel zu einfallslos gezeichnet, immer wieder wird von seinem K.I.-Anzug (Hallo Iron Man) die Kontrolle übernommen und er als fleischige Füllung ist nur noch dazu da, sich im Geschehen selbst zu kommentieren. Das mag vielleicht beim jungen Publikum gut ankommen, jedoch fehlt es an Originalität. Die sollte man aber dem Filmkomponisten Bobby Krlic (The Haxan Cloak) zusprechen, der hier einen knackigen, synthetischen Score zaubert, der im Ohr bleibt, wenn man den Großteil des Films bereits vergessen hat.
Fazit
BLUE BEETLE ist ein farbenfroher Anstrich einer viel zu oft erzählten Geschichten, die seit Jahrzehnten immer wieder in Comics oder deren Verfilmungen durchgekaut wurde. Ein rein kulturelles Upgrade zu inszenieren, ist zu wenig, um wirklich frisches Publikum anzulocken. Die Charaktere sind einem überraschenderweise nicht völlig egal, abgesehen von ihrem Anführer, aber der soll ja universell genug sein, damit sich jeder in die Hightech-Rüstung hinzuträumen vermag.
Chefredakteur
Kann bei ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT mitsprechen / Liebt das Kino, aber nicht die Gäste / Hat seinen moralischen Kompass von Jean-Luc Picard erhalten / Soundtracks auf Vinyl-Sammler / Stellt sich gern die Regale mit Filmen voll und rahmt nur noch seine Filmposter
Dieser Film (zusammen mit The Flash) ist der Tod von DC. Da macht James Gunn dann auch nix mehr.