„Düstere Weihnachten“
Meilenstein des Slasher-Genres
Wer im Rahmen unserer Best-of-Horrorliste der 1970er gut aufgepasst hat, der weiß bereits: nicht erst HALLOWEEN oder FREITAG DER 13. sind als prägende Vertreter des gepflegten Slashers zu betrachten, sondern bereits Anfang bzw. Mitte der Dekade gab es einige entscheidende Beiträge. Neben einigen wichtigen Gialli sticht vor allem die kanadische Produktion BLACK CHRISTMAS (1974) hervor, die im deutschen den legendären Titel JESSY – DIE TREPPE IN DEN TOD abbekommen hat. Als eines der ersten Final Girls der Filmgeschichte spielt Olivia Hussey im wahrsten Wortsinne um ihr Leben, wenn ein unbekannter Killer ein Studentinnenwohnheim in Angst und Schrecken versetzt. Gemäß der Formel „Morde an (nicht nur amerikanischen) Feiertagen“ setzte BLACK CHRISTMAS recht früh den Maßstab. Was folgte, ist Genrefans bestens bekannt und von schwankender Qualität: MOTHER’S DAY (1980), MY BLOODY VALENTINE (1981), PROM NIGHT (1980) und viele andere. Mutig und freizügig, aber vor allem auch atmosphärisch dicht, wurde die Inszenierung von BLACK CHRISTMAS wenige Jahre später rückblickend geradezu glorifiziert.
Ebenfalls bemerkenswert ist die Konzentration auf die weiblichen Protagonistinnen. Bob Clarks Film führte einige Motive ein, die später zu den Standardthemen des Slasher-Films zählen sollten. Eines davon ist der häufige Einsatz von subjektiven Kameraaufnahmen (Point-of-View-Shots) aus der Sicht des Killers, wie sie später in beinahe allen Slashern zitiert werden. Ein weiteres Motiv ist das serielle Töten junger Frauen durch einen unbekannten psychopathischen Mörder, was zum Hauptthema des modernen Slashers wurde und bereits in Mike Powells PEEPING TOM und Alfred Hitchcocks PSYCHO (beide 1960) vorgearbeitet wurde. Zudem schuf der Film nachhaltig das Bild eines Killers, der sich im Haus des Opfers versteckt und von dort aus anruft – eine Thematik, die in späteren Filmen wie etwa dem ebenfalls sehr gelungenen DAS GRAUEN KOMMT UM 10 (WHEN A STRANGER CALLS, 1979) direkt aufgegriffen wurde.
„Blutig, sinnlos und schwerfällig“
… so urteilte bei Kinostart die Zeitschrift Variety über den den Film, der in nur acht Wochen auf 35mm-Film in Toronto abgedreht wurde. Im nordischen Nachbarn der Vereinigten Staaten durfte man sich seither schon immer etwas mehr erlauben – David Cronenberg etwa startete just im selben Jahr mit SHIVERS in Spielfilmlänge durch. Natürlich brachen die konservativen Kritiker die Freizügigkeit des Slashers auf wenige Schockmomente herunter, vergaßen dabei aber die sorgfältige Kameraführung, die Bildgestaltung, das ganze Setdesign – und vor allem das Spiel der (weiblichen) Hauptfiguren. Margot Kidder etwa war noch gar nicht mit SUPERMAN berühmt, da stand sie bereits ein Jahr vor diesem Film für Brian DePalma in SISTERS vor der Kamera.
Natürlich bietet auch BLACK CHRISTMAS einige Klischees, aber die Schonungslosigkeit wie auch der bitterböse Sarkasmus, die dem Film durchweg innewohnen, lassen einem buchstäblich die Nackenhaare zu Berge stehen. Während einer Weihnachtsfeier am Vorabend des Festes verschafft sich ein Unbekannter Zugang ins Wohnheim der jungen Frauen und versteckt sich auf dem Dachboden. Während die übrigen Bewohnerinnen feiern, zieht sich Clare, das erste Opfer, in ihr Zimmer zurück, wo sie von dem Eindringling überrascht und getötet wird. Clares Leiche wird vom Täter auf dem Dachboden versteckt. Ihr toter Körper – makaber an einen Schaukelstuhl geknebelt und mit Plastikfolie um das Gesicht – „ziert“ in Anleihe an das US-Poster auch das Cover der aktuellen Mediabook-Edition via capelight pictures; das deutsche Kinoplakat wiederum, mit dem aufgerissenen Auge, das zwischen Gitterstäben bzw. einer spaltoffenen Tür hervorblickt, diente stilecht für die Sammleredition im Retro-VHS-Style.
Blutig ist der Film durchaus, „sinnlos“ keinesfalls und „schwerfällig“ möchten wir dieses formidable, atmosphärisch dichte Horrorwerk nun wahrlich nicht genannt wissen. Mit dem ersten schockierenden Mord, dem durchgehend klaustrophobischen Setting und dem düsteren Whodunit?-Ratespiel bis zum Finale verschaffte sich BLACK CHRISTMAS seinen sicheren Platz in den Annalen der Horrorfilmgeschichte.
Das Mediabook von capelight pictures
Alternativtitel des Films waren auch SILENT NIGHT, DEADLY NIGHT (mit US-Kinostart am 20. Dezember 1974), der später wieder revidiert wurde, sowie STRANGER IN THE HOUSE, wie er für TV-Ausstrahlungen betitelt wurde. Bereits im November 2013 erschien der Film hierzulande via capelight pictures auf Blu-ray, damals noch im ersten HD-Transfer und bereits mit zahlreichen Extras. Nun bot der damals erste „hochqualitative“ Look fürs Heimkinos weniger Genuss, sondern eher viele Abstriche, die sich in kontrastarmen Bildern, schwammigen Schwarzwerten und geminderten Details bemerkbar machten. Zudem geriet das Pop-Art-Mash-up-Cover der Amaray dem Klassikerstatus des Films unwürdig und landete bisweilen in der Ramschkiste der Einzelhändler. Dem ist nun Abhilfe geschaffen, denn zusätzlich zum schicken, mit enger Folie umschlungenen Äußeren der neuen Editionen, wurde auf das aktuelle Re-Master des Films via Shout!Factory (USA, 2016) zurückgegriffen.
Unter den zahlreichen Extras befinden sich zunächst die bereits bekannten:
- Audiokommentar mit Regisseur Bob Clark
- Audiokommentar mit den Darstellern John Saxon und Keir Dullea
- Black Christmas: Revisited [Doku] (36:25 Min)
- The 12 Days of Black Christmas [Doku] (19:49 Min)
- Interviews mit den Darstellern:
- Olivia Hussey | Jess (17:22 Min)
- Margot Kidder | Barb (22:31 Min)
- Art Hindle | Chris (23:48 Min)
- „Uncovered“ Sound Scenes:
- Trellis Climb (01:07 Min)
- Final Pan (01:58 Min)
- Black Stories – Ein Gespräch im Kino (20:20 Min)
- TV- und Radio-Spots:
- TV-Spot [1974] (00:10 Min / 00:30 Min / 01:00 Min)
- TV-Spot [2001] (00:30 Min)
- Radio-Spot [1974] (00:10 Min / 01:00 Min)
- Kinotrailer (04:09 Min)
… sowie zwei neue audiovisuelle Special Features:
- – „Film and Furs“ Erinnerung mit Art Hidle (26:09 Min.)
- – „Victims and Virgins“ Erinnerung mit Lynne Griffin (26:33 Min.)
die von der Shout!Factory-Edition mit übernommen und deutsch untertitelt wurden.
Selbst Autor von einigen Mediabook-Texten, hat mir hier auch der ausführliche, in Zwischenkapitel gegliederte Bookletteil von Autorin Jenny Jecke gefallen, der sich einerseits um die akkurate Einordnung des Films innerhalb des Subgenres bemüht, Regisseur Bob Clark (DEAD OF NIGHT, PORKY’S, EIN SOMMER IN MANHATTAN) näher beleuchtet und auf die stilistischen Merkmale des Films genauer eingeht. Der Text ist informativ, dabei sehr verständlich geschrieben und nutzt die Möglichkeiten des Formats „Mediabook“ voll mit aus.
Fazit
Für Sammler und Liebhaber des Genres legt capelight mit diesem Mediabook wieder eine absolute Referenz und Kaufempfehlung im deutschsprachigen Raum vor. Im schicken Design samt Cover und Spine, mit verbesserter Qualität in Bild und Ton und mit erweiterter Ausstattung, macht das Label ihre erste Veröffentlichung von 2013 vergessen und rettet diesen eher wenig besprochenen, doch von vielen Fans heißgeliebten Slasher-Klassiker in eine neue Dekade.
Titel, Cast und Crew | Jessy - Die Treppe in den Tod (1974) OT: Black Christmas |
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Poster | |
Release | ab dem 06.12.2019 im Mediabook (Blu-ray +DVD) und in der VHS-Retro-Edition Ihr wollt den Film bei Amazon kaufen? Dann geht über unseren Treibstoff-Link: |
Regisseur | Andrew V. McLaglen |
Trailer | |
Besetzung | Olivia Hussey (Jess) Keir Dullea (Peter) Margot Kidder (Barb) John Saxon (Lt. Ken Fuller) Marian Waldman (Mrs. Mac) Andrea Martin (Phyl) James Edmond (Mr. Harrison) Doug McGrath (Sargeant Nash) Art Hindle (Chris Hayden) Lynne Griffin (Clare Harrison) |
Drehbuch | Roy Moore |
Musik | Carl Zittrer |
Kamera | Reginald H. Morris |
Schnitt | Stan Cole |
Filmlänge | 98 Minuten |
FSK | ab 16 Jahren |
Liebt Filme und die Bücher dazu / Liest, erzählt und schreibt gern / Schaltet oft sein Handy aus, nicht nur im Kino / Träumt vom neuen Wohnzimmer / Und davon, mal am Meer zu wohnen