„Szenen einer Spionage-Ehe“
Treue in einer Beziehung ist im 21. Jahrhundert schon lange keine alleinige Frage des Vertrauens mehr, sondern auch eine der Technologie. Mit Beginn des Verkaufs internetfähigen Hochleitungsrechner in Hosentaschengröße konnte es schnell mal passieren, dass eine Nachricht an die falsche Person ging und eine Affäre offenbarte. Seitensprünge können heute auch mithilfe von GPS-Peilung aufgedeckt werden: „Ich dachte, du gehst zum Tennis und nicht ins Stundenhotel?“. Die neuesten Gadgets sind Smart Rings, die eigentlich aus der Gesundheits- und Fitness-Entwicklung kommen. Dank technologischer (Ehe)Ringe wird dem Partner oder der Partnerin heftiges Herzklopfen des anderen in der App angezeigt. Wenn jedoch die Person eigentlich „nur langweilige Überstunden im Büro machen“ wollte, ist das Misstrauen bereits gesät. BLACK BAG von Steven Soderbergh führt bei einem britischen Agenten-Ehepaar den ultimativen Treuetest sowohl auf privater als auch auf beruflicher Ebene durch: Die Ehe und Landestreue werden gleichzeitig geprüft. Hier erhält der Satz ‚Bis dass der Tod euch scheidet‘ eine völlig neue Dimension.

Handlung
Es gibt einen Verräter bzw. eine Verräterin in den Reihen des britischen Geheimdienstes. Agent George Woodhouse (Michael Fassbender) ist Experte für das Aufdecken von Lügen und wird mit einer Liste Verdächtiger beauftragt. Sein Auftraggeber stirbt kurze Zeit darauf an einem „plötzlichen“ Herzinfarkt. Die Liste der verdächtigen Kollegen und Kolleginnen schließt auch Georges Ehefrau ein: Kathryn St. Jean (Cate Blanchett). Kathryn arbeitet ebenfalls für den Geheimdienst. Ob es sich um eine berufliche Ehe oder eine Ehe aus Liebe handelt, bleibt zu Beginn unklar.

Als Woodhouse die Verdächtigen zu einem selbstgekochten Dinner mit einer Prise Chemie einlädt, die die Zunge der Anwesenden lockert, kommen einige Geheimnisse ans Licht. Clarissa Dubose (Marisa Abela) hat eine Schwäche für ältere Männer, Freddie Smalls (Tom Burke) hat eine Affäre, Dr. Zoe Vaughan (Naomi Harris) liest anrüchige Literatur und Col. James Stokes (Regé-Jean Page) ist bei weitem nicht so gut im Bett wie er denkt. Nach dem Essen, das mit einem Steakmesser in einer Hand endet, fällt der größte Verdacht jedoch auf Woodhouses Ehefrau. Kann George seiner Liebsten trauen, oder findet hier ein gezieltes Komplott gegen die Bilderbuch-Spionage-Ehe statt?

Genredestillat
Steven Soderberghs Filme (OUT OF SIGHT, ERIN BROCKOVICH) sind eine Liga für sich. Wie kein anderer versteht es Soderbergh effizient, punktgenau und mit sinnvollem Budget in kurzer Zeit eine Vielzahl von Drehbüchern umzusetzen. Unter den Pseudonymen Peter Andrews (Kamera) und Mary Ann Bernard (Schnitt) übernimmt er regelmäßig mehrere kreative Rollen. Das spart ebenfalls Budget, was für eine faire Bezahlung der Crew und der Schauspieler sorgt. Mit Produktionskosten von ungefähr 60 Mio. Dollar gehört BLACK BAG zu den Mid-Budget-Movies, die mittlerweile zu einer aussterbenden Art im Kino gehören. Entweder geben aktuell große Studios oder Streamingdienste Unmengen an Geld für durchgekaute Storys aus oder für originelle Ideen müssen die Produzenten extrem sparsame und langwierige Wege, meist über die Festivals, gehen. Außerdem scheinen die Stars für Soderberghs Filme immer in der Casting-Warteschlange anzustehen. Mit der OCEAN`S-Reihe quetscht er förmlich all seine Lieblinge in einer Las-Vegas-Heist-Trilogie. Aber auch weniger bekannte Schauspielerinnen und Schauspieler finden ihren Platz im Soderbergh-Ensemble.: Terry Hughes in KIMI (2022), André Holland in HIGH FLYING BIRD (2019) und Claire Foy mit UNSANE (2018), die damals vor allem durch die Serie The Crown bekannt wurde. Wenn man ein Lieblingsgenre von ihm nennen müsste, wäre es auf jeden Fall der Krimi. Und da fühlt sich der Spionagefilm besonders wohl.
Diesmal liegt der Fokus der Inszenierung fast ausschließlich auf dem Schauspiel. Man versucht wie der Protagonist George in BLACK BAG jede Nuance in der Mimik zu entschlüsseln und jedes Wort auf die Goldwaage zu legen.

Die Spielfiguren
Was vor allem begeistert, ist, dass es hier um gestohlene Hightech-Software geht (die Atomreaktoren in die Luft jagen kann, sodass es wie ein Unfall aussieht), aber sonst keinerlei fiktionale Technologie die Handlung vorantreibt. Es wird von außenpolitischen Konflikten gesprochen, jedoch ohne aktuellen Bezug. So wirkt es fast beliebig, wie aus einem Film zu Zeiten des Kalten Krieges. BLACK BAG konzentriert sich vollkommen auf seine Charaktere. Was geben sie vor, zu sein? Wie manipulieren sie andere, um an ihre Ziele zu kommen? Loyalität sucht man vergeblich, selbst in der Ehe und beim Geheimdienst scheint nichts in Stein gemeißelt zu sein. Bei George und Kathryn weiß man nie so genau, wie sehr beide ihren Beruf zum Grundpfeiler ihrer Ehe gemacht haben. Über die Arbeit spricht man nicht – strengste Geheimhaltungsstufe. Man kann nur interpretieren oder muss die Sicherheitslevel des anderen stehlen, um einen Blick auf dessen Kalender zu erhaschen. Was ebenfalls erfrischend ist, dass George den akkuraten Hausmann gibt und Kathryn eher auf ihre Karriere konzentriert ist. Es knistert auch immer wieder ganz intensiv zwischen beiden, was vielleicht auch als Misstrauen gedeutet werden kann, aber nie bis zum expliziten Sex reicht, auch wenn immer wieder ganz ungefiltert über Machtverhältnisse im Bett gesprochen wird.

Ein paar Aspekte können als Hindernisse für den uneingeschränkten Spannungsspaß dienen. Man darf sich nicht ablenken lassen und muss stets beim Sammeln von Hinweisen dabei sein. Die Inszenierung erzählt nie zu viel, manchmal reichen schon wenige Gesten, um die Beziehungen und Vergangenheiten zwischen den Figuren zu verdeutlichen. Es ist sinnvoll, stets einen Hauptverdächtigen oder Hauptverdächtige zu haben, sonst verliert man sich in den doppeldeutigen Dialogen. Und die vielleicht wichtigsten zwei Dinge: Der jazzige Score von David Holmes sollte ausgekostet werden und ein Faible für sehr trockenen Humor bringt Schwung ins Erlebnis.

Fazit
BLACK BAG hinterfragt Treue auf vielerlei Ebenen: in Freundschaften, in Ehen, im Arbeitsverhältnis und zum Vaterland. Immer wieder rutscht die spannende Suche nach Verrat auf diesen Leveln hin und her. Eine richtige Wohltat in Zeiten, in denen ein Großteil der Medien nur Meinungen anstatt Fakten verbreitet.
Titel, Cast und Crew | Black Bag - Doppeltes Spiel (2025) OT: Black Bag |
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Poster | ![]() |
Release | Kinostart: 15.05.2025 |
Regie | Steven Soderbergh |
Trailer | |
Besetzung | Cate Blanchett (Kathryn St. Jean) Michael Fassbender (George Woodhouse) Marisa Abela (Clarissa Dubose) Tom Burke (Freddie Smalls) Naomie Harris (Dr. Zoe Vaughan) Regé-Jean Page (Col. James Stokes) Pierce Brosnan (Arthur Stieglitz) Gustaf Skarsgård (Philip Meacham) Orli Shuka (Andrei Kulikov) Kae Alexander (Anna Ko) Ambika Mod (Angela Childs) |
Drehbuch | David Koepp |
Kamera | Peter Andrews |
Musik | David Holmes |
Schnitt | Mary Ann Bernard |
Filmlänge | 93 Minuten |
FSK | ab 12 Jahren |
Chefredakteur
Kann bei ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT mitsprechen / Liebt das Kino, aber nicht die Gäste / Hat seinen moralischen Kompass von Jean-Luc Picard erhalten / Soundtracks auf Vinyl-Sammler / Stellt sich gern die Regale mit Filmen voll und rahmt nur noch seine Filmposter