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Belfast (2021) – Filmkritik

„Home is, where your Heart is”

Für unzählige Menschen auf dieser Welt ein Leitspruch, der von zwei Seiten gut anwendbar ist. Zum einen kann man hinziehen, wohin man möchte, Hauptsache man liebt das neue Zuhause oder die Menschen dort. Zum anderen gibt es auch einen gewissen Halt, dass egal wohin man geht, wenn man in die Heimat zurückkehrt, wird dort das eigene Herz besonders munter aufleben. Genauso geht es dem nordirischen Schauspieler und Regisseur Kenneth Branagh und tausenden seiner Landsleute. In Irland geboren, aber dann in die Welt hinausgezogen, um das zu finden, was einen mit Lebenssinn erfüllt, Geld einbringt oder der Familie Sicherheit bietet. Es ist für Branagh mit 60 Jahren an der Zeit gewesen der aufregenden Kindheit in seiner Geburtsstadt ein cineastisches Dankeschön zu schreiben. BELFAST ist kindlich verspielt, dramatisch unbeholfen und so emotional stark mit der dortigen Kultur verbunden, dass es wie geschaffen für einen Kinofilm ist. Branagh nimmt uns mit in seine Kindheit, die in den bürgerkriegsähnlichen Unruhen ab 1969 in der nordirischen Hauptstadt stattfand und bekommt ganz geschickt den Bogen, lieber über die Menschen zu erzählen als über politische und religiöse Konflikte.

Credit : Rob Youngson / Focus Features © 2021 Focus Features, LLC.

Handlung

Eine Straße gesäumt von Reihenhäusern in Belfast. Das Leben findet vor der Haustür statt, jeder kennt jeden und grüßt jeden. Die Kinder spielen Ball. Einer kämpft lieber gegen unsichtbare Drachen. Buddy (Jude Hill) setzt sich mit einem Mülleimerdeckel gegen Fantasiewesen zur Wehr. Das Idyll wird harsch unterbrochen als ein Mob irischer Protestanten die Straße mit Steinen bewirft, Fensterscheiben einschlägt und Autos anzündet. Buddy‘s Mutter (Caitriona Balfe) bringt ihre Söhne unter dem Küchentisch in Sicherheit. Der Mob wütet bis die Polizei und Soldaten die Schlacht beenden. In der Straße leben viele Katholiken und die Iren, meist protestantischen Glaubens, wollen sie loswerden. Nicht nur weil sie für die Herrschaft des britischen Englands über die grüne Insel stehen.

Credit : Rob Youngson / Focus Features © 2021 Focus Features, LLC.

Buddy’s Vater (Jamie Dornan) arbeitet auf Montage in London und kommt nur selten am Wochenende nach Hause, denn die Steuerschulden der Familie fordern ihre monatlichen Beiträge. Die Welt von Buddy verwandelt sich immer mehr in eine Kriegszone. Die Gehwegplatten werden als Schutzwall vor den Straßen aufgetürmt und Soldaten kontrollieren die Zugänge. Das interessiert Buddy recht wenig, denn er liebt das Kino und schwärmt für das hübscheste und schlauste Mädchen seiner Klasse. Gut, dass er seinen Großvater (Ciarán Hinds) und seine Großmutter (Judi Dench) als Unterstützung für Lebens- wie auch Liebesfragen hat.

Credit : Rob Youngson / Focus Features © 2021 Focus Features, LLC.

Monochrome Erinnerungen

Zu Beginn denkt man noch im falschen Film zu sitzen. In strahlenden Farben sind wir auf Drohnenflug über dem Belfast der Gegenwart. Der Hafen, die Sehenswürdigkeiten im Wechselspiel aus Wolken und Sonnenschein, es fehlt nur noch der Slogan: Reisen Sie nach Belfast. Aber dann steigt die Kamera über eine Mauer, die Farben weichen und das Leben Ende der 1960er-Jahre beginnt. Man hätte es bei dem Regisseur wissen müssen. Die Einführung ist genauso verspielt wie seine bisherigen Regiearbeiten (MORD IM ORIENT-EXPRESS, 2017; CINDERELLA, 2015). Für die Art wie BELFAST erzählt ist, ist er aber genau der richtige Künstler dafür. Es wäre ein Leichtes gewesen, ein Drama voller trauriger Momente und Ängste in diesen belagerten Straßen zu zeigen. Die Schwarzweißbilder sind eine Tarnung, zeigen trotzig das Leben, die Menschen und die Freuden einer Kindheit. In BELFAST wird zwar auch geheult, gestritten und gekämpft, aber am Ende raufen sich alle zusammen, wie in einer Familie.

Credit : Rob Youngson / Focus Features © 2021 Focus Features, LLC.

Was an Kindern immer bewundernswert ist, dass sie mit ihrer Herkunft so ungezwungen und wertefrei umgehen. Im Spiel sind die Kleinen sorglos, egal aus welchen Verhältnissen sie stammen und für die Hauptfigur Buddy gilt das gleiche. Was ist der Unterschied zwischen Katholiken und Protestanten? Kann das der richtige Weg sein, den der Pfarrer in seiner Predigt herbeibrüllt? Und warum muss die Familie ihre Heimat verlassen? Vielleicht kommen unweigerlich Gedanken an den hierzulande erfolgreichen DER JUNGE MUSS AN DIE FRISCHE LUFT (2018) auf, in dem ein junger Hape Kerkeling mit der seltsamen Welt klarkommen muss, in die er hineingeboren ist. BELFAST ist nicht so altklug wie Hape, stellt jedoch die richtigen Fragen und gibt ausreichend Raum für die Nebenfiguren und deren Szenen.

Credit : Rob Youngson / Focus Features © 2021 Focus Features, LLC.

Sicherlich wird jedem mindestens eine Szene nach dem Filmende in Erinnerung bleiben: Der liebevolle Umgang der Großeltern – der Oscar für Judi Dench wird nur noch eine Formsache sein. Oder die Strategie von Buddy an seine Schulliebe zu kommen. In seiner Klasse herrscht nämlich harte Hierarchie. Die mit den besten Noten sitzen vorn bei der Lehrerin, nach hinten fällt der Notenspiegel steil ab. Die Angebetete sitzt schon in der ersten Reihe und so arbeitet sich Buddy – auch dank der Tipps seines Großvaters, Zahlen so aussehen zu lassen, dass es zwei verschiedene sein können – auf Platz 2 in der Rangliste. Leider hat er nicht bedacht, dass seine Liebste durch ihn auf Platz 3 verdrängt wird und sie nun hinter ihm sitzen muss. In solchen Momenten lernen auch wir noch etwas fürs Leben.

Credit : Rob Youngson / Focus Features © 2021 Focus Features, LLC.

Autobiografisch? Auf jeden Fall!

Es wäre schon ein Unding gewesen, wenn Kenneth Branaghs kindliches Ich nicht bei BELFAST die Finger im Spiel gehabt hätte. Die Art wie die Menschen in jener Zeit miteinander umgehen oder auch die Figurenzeichnung leben förmlich von den verklärten Erinnerungen eines Kindes an die damalige Zeit. Zudem kommt durch die spielerischen Kamerawinkel und -einstellungen der für seine Handschrift übliche theatralische Irrsinn ins Erlebnis. Regisseur und Drehbuchautor Branagh arbeitet auch wieder mit seiner Stamm-Crew zusammen und das vertraute Handwerk von Kamera, Schnitt und Szenenbild wirkt wie aus einem Guss. Ob diese meist etwas künstliche Art einem als Mitreisende oder Mitreisender zusagt, bleibt Geschmackssache. Dass in einigen Szene wahre Filmmagie zu finden ist, ist nicht zu übersehen.

Drehbuchautor & Regisseur Kenneth Branagh am Set // Credit : Rob Youngson / Focus Features © 2021 Focus Features, LLC.

Zusätzlich gibt es eine fast ausschließliche Playlist von der irischen Donnerstimme Van Morrison zu hören und die beinahe komplett irische Besetzung bringt förmlich den Duft eines gezapften Guinness und die Wärme einer Tasse Tee in unsere Sinne. BELFAST in Originalsprache und vielleicht mit deutschen Untertiteln zu sehen, ist ein ganz wichtiger Bestandteil für ein authentisches Filmerlebnis. Es gibt im Geschehen auch Szenen mit buntem Ausrufezeichen und das sind nicht die Kämpfe und Revolten. Es ist zum Beispiel ein Theaterstück, welches Buddy mit seiner Großmutter besucht oder die Kinovorstellung mit einem irren Flug in TSCHITTI TSCHITTI BÄNG BÄNG (CHITTY CHITTY BANG BANG, 1968) oder die kämpferische Erscheinung von Raquel Welch in EINE MILLION JAHRE VOR UNSERER ZEIT (ONE MILLION YEARS B.C.,1966). Der Fernseher bringt 12 UHR MITTAGS (HIGH-NOON, 1952), der geht natürlich nicht in farbig, aber dafür darf der Song von Tex Ritter das Finale begleiten.

Credit : Rob Youngson / Focus Features © 2021 Focus Features, LLC.

Fazit

Es ist ein Privileg seine Kindheit ins solch subjektiver Weise und voll kindlicher Unschuld auf großer Leinwand zu erzählen. Wir brauchen mehr solche Filme wie BELFAST, die uns unweigerlich in die eigene treiben. Die Unbeschwertheit, die Emotionen und die Begeisterung aus einer solchen Zeit will man nicht missen. Kenneth Branagh hat sie auf jeden Fall immer noch in seinem Herzen und darf gern das Kino dafür nutzen. Home is, where your cinema is.

© Christoph Müller

Titel, Cast und CrewBelfast (2021)
Poster
RegieKenneth Branagh
ReleaseKinostart: 24.02.2022
ab dem 12.05.2022 auf Blu-ray und DVD

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Trailer
BesetzungJude Hill (Buddy)
Lewis McAskie (Will)
Caitriona Balfe (Ma)
Jamie Dornan (Pa)
Judi Dench (Granny)
Ciarán Hinds (Pop)
Ian Dunnett Jnr (Onkel Tony)
Michael Maloney (Frankie West)
Lara McDonnell (Moira)
Chris McCurry (Mr. Stewart)
DrehbuchKenneth Branagh
MusikVan Morrison
KameraHaris Zambarloukos
SchnittÚna Ní Dhonghaíle
Filmlänge98 Minuten
FSKAb 12 Jahren

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