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Beau is Afraid (2023) – Filmkritik

Es ist eine Krux mit diesen Wunderkindern. Da landet ein Ari Aster mit seinem Debütspielfilm HEREDITARY (2018) einen echten Coup, der so wahnsinnig klug Bekanntes aus dem Horrorgenre zu etwas Neuem mixte und war in der Lage, das Faszinosum mit dem Follow-Up MIDSOMMAR (2019) sogar übertreffen zu könnte. Wenn man dann auch noch von A24, diesem Studio, dass schon fast seine eigene Parodie geworden ist, einen blank cheque für sein passion project seit der Filmhochschule erhält, ja, dann kann man mit Fug und Recht behaupten, dass auf Aster ein immenser Erwartungsdruck lastet. Gerade als Filmschreibender ist man bei solchen, mittlerweile raren filmischen Ereignissen, zwiegespalten. Natürlich muss man da eine gewisse Distanz walten lassen, das Werk vor allem als Werk beurteilen; aber man möchte auch gerne einfach mitmachen, beim Hype. Denn wann gibt es in unserer von wirtschaftlichen Interessen und auf Jahren durchgeplanten Franchises dominierten Kinowelt denn noch diese wahnsinnigen Großprojekte, die a priori eine erfrischende Idiosynkrasie versprechen?

Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben. Und BEAU IS AFRAID, besagten dritten Film von Aster, auch erst nach dem Ansehen.

© Leonine Studios

Beau (Joaquin Phoenix) hat Angst. Eine Angststörung. Viel Positives gibt es in seinem Leben auch nicht. Sein einziger regelmäßiger Kontakt ist sein Psychiater (Stephen McKinley Henderson). Zum Jahrestag des Todes seines Vaters will Beau sich aufmachen in die Heimat, zu seiner Mutter Mona (Patti LuPont). Sagen wir mal so, dass Verhältnis der alleinerziehenden Mutter und ihrem Sohn ist, vergangenheitsgeprägt, kompliziert. Geradezu kafkaeske Vorkommnisse verhindern das pünktliche Abreisen Beaus, dann stirbt Mona einen höchst bizarren Unfall und wenn bereits das bisherige Leben Beaus ein flirrender Albtraum war, was ist das hier dann bitte? Auf seiner knapp dreistündigen Odyssee begegnet Beau unter anderem einem etwas zu hilfsbereitem Ehepaar (Amy Ryan und Nathan Lane), einem verstörten Veteranen (Denis Menochet) und einer verstrahlten, wandernden Theatertruppe. Immer wieder eingewoben: Rückblicke in Beaus Kindheit, Animationsfilmmomente und sehr viel mehr Abstruses.

© Leonine Studios

Bereits Asters Vorgängerfilme waren reich an intertextuellen Verweisen und beschäftigten sich darüber hinaus mit dem Aufarbeiten und dem Leben mit traumatischen Erlebnissen, was sicherlich auch dazu führte, dass wir kurz mit diesem Unwort elevated horror um uns warfen. Zum Glück war Aster bisher schlauer, als sich vor den Wagen einer spaßbefreiten Intellektualität spannen zu lassen, seine ersten beiden Filme zeichneten sich doch mehr durch das Evozieren einer kohärenten Atmosphäre als durch das Schwelgen in einem unbedingt selbstüberhöhenden Prätentiösen (hallo Robert Eggers) aus. Und ja, geneigten Leser:innen fällt hier die Verwendung des Wortes „bisher“ auf.

© Leonine Studios

Der deutschsprachige Schriftsteller Franz Kafka dürfte Asters größte Inspiration für BEAU IS AFRAID gewesen sein. Wie in der ersten Stunde Beau mit merkwürdigen Nachbarn und Prozessen (lol), die sich seiner Kontrolle entziehen, zu kämpfen hat und wie da ganz offensichtlich etwas arg Bedrohliches unter Beaus Oberfläche schlummert, könnte man so oder so ähnlich auch etwa im PROZESS nachlesen. Wir begegnen hier einem im Mainstreamkino schon lange nicht mehr anzutreffenden Wille zum Grotesken und Abstrusen, der eben deshalb funktioniert, weil er für Beau so bedrohlich ist. Dem apokalyptischen Horror, der uns vor Beaus Wohnung begegnet, kann man nur noch mit einem unsicheren Lachen begegnen. Auch, weil das alles so eine diffuse Qualität hat. Man merkt schon, hier könnte etwas dahinterstecken, aber wollen wir das überhaupt wissen? Die Antwort muss lauten: Nein, jedenfalls nicht explizit vom Text ausbuchstabiert. Welcher Teufel hat Ari Aster dabei geritten hat, nach zwei Stunden Triperfahrung (tatsächlich fühlt sich BEAU IS AFRAID in seinen besten Momenten wie ein schiefgelaufenes Experiment mit psychedelischen Substanzen an) 60 Minuten kontextualisierende Annotationen anzufügen? Kafkas Texte, Lynch Filme, sie überdauern die Zeit, weil sie sich einer finalen Deutung verwehren, von Generation um Generation neu entdeckt werden können. Ohne zu viel vorwegzunehmen: Eine adäquate deutsche Übersetzung des englischen Originaltitels könnte auch lauten: Beau ist erFreud.

© Leonine Studios

Mit seinem dritten Langfilm denkt Aster leider zuerst an die Rezeption seines Werkes und dann an das Erzählen einer Geschichte. Und so etwas kann nicht funktionieren. Niemand möchte Filme sehen, die primär für Filmkritiker:innen gemacht werden, eben diese am wenigsten. Und so entwickelt sich BEAU IS AFRAID mit zunehmender Laufzeit zum Ärgernis und beim Abspann lacht man tatsächlich nur noch, weil es sonst unerträglich wäre.

© Fynn

Titel, Cast und CrewBeau Is Afraid (2023)
Poster
ReleaseKinostart: 11.05.2023
RegisseurAri Aster
Trailer
BesetzungJoaquin Phoenix (Beau)
Armen Nahapetian (der junge Beau)
Parker Posey (Elaine)
Amy Ryan (Grace)
Zoe Lister-Jones (junge Beaus Mutter)
Richard Kind (Dr. Cohen)
Nathan Lane (Roger)
Michael Gandolfini (Beaus Sohn)
Théodore Pellerin (Beaus Sohn)
Mike Taylor (Beaus Sohn)
Patti LuPone (Beaus Mutter)
Kylie Rogers (Toni)
Hayley Squires (Penelope)
Julia Antonelli (junge Elaine)
Denis Ménochet (Jeeves)
Stephen McKinley Henderson (Psychiater)
DrehbuchAri Aster
KameraPawel Pogorzelski
MusikThe Haxan Cloak
SchnittLucian Johnston
Filmlänge179 Minuten
FSKab 16 Jahren

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