“I’m every woman?”
Beatles oder Stones. Oasis oder Blur. Star Wars oder Star Trek. Tokio Hotel oder Killerpilze. Das popkulturelle Leben ist durchzogen von Dualitäten, zu denen man sich positionieren muss. Der Kinosommer 2023 lockt mit einem Duell, bei dem es augenscheinlich auf beiden Seiten nur Gewinner:innen geben kann. Christopher Nolans OPPENHEIMER steigt in den Ring gegen Greta Gerwigs BARBIE. Hypename BARBENHEIMER. A priori klingt der wahrlich nicht idiosynkratische Atombombenbastlerfilm von Christopher Nolan nach der besseren Zelluloididee, denn was kann ein Barbie (Trademark) Film schon mehr sein als reines Product-Placement? Der Name Gerwig auf dem Regiestuhl macht aber schon neugierig. Life in plastic – also im Kino. But is it fantastic?
Barbieland: Hier leben die sattsam bekannten Barbiefiguren jeglicher Couleur und Berufsklasse (Präsidentin-Barbie, Nobelpreisträgerin Barbie, Musik-Barbie (Dua Lipa), Bauarbeiter-Barbie) in friedlicher Matriachartsharmonie. Jeden Tag scheint die Sonne und jede Nacht ist Mädelsabend. Und dann sind da auch noch die Kens. Die braucht aber ehrlich gesagt niefrau, denn außer nett auszusehen und treudoof grinsen sind sie zu wenig zu gebrauchen. Standard-Barbie (Margot Robbie), also genau die Barbie, an die wir denken, wenn wir von Barbie sprechen, genießt das Leben. Bis sich eine wirklich lästige Depression in ihrem Kopf einnistet. „Do you guys ever think about dying?“. Nein, so etwas machen Barbies nicht. Was tun? Barbie, die sich ihrer sprichwörtlichen Produkthaftigkeit ziemlich bewusst ist, muss sich aufmachen in die „echte“ Welt und das Kind finden, dass mit ihr spielt. Dann könnte das Barbieland wieder ins Lot kommen. Widerwillig nimmt sie ihren Möchtegegernboyfriend Ken (Ryan Gosling) mit auf die epische Reise. Doch, oh Schreck: Im Los Angeles des Jahres 2023 werden Frauen objektifiziert und benachteiligt und Barbiepuppen entweder als Pornofantasie oder hoffnungslos antiquiertes Spielzeug aus einer langen verblassten Kindheit betrachtet. Während Barbie alle Hebel in Bewegung setzt, um „ihr“ Kind zu finden, entdeckt Ken die Vorteile des Patriacharts und dann bekommt der Chef von Mattel (Will Ferrell) auch noch Wind von der Barbie-Weltenwandlerin.
Es gibt drei Arten, sich BARBIE zu nähern.
Da wäre zunächst die Rezeption als reine ästhetische Kategorie. Audio-visuell ist, kann man sich mit dem sujetbedingten grellen Stil anfreunden, BARBIE ein echtes Fest. Die Kreativität, die beim Erschaffen des Barbielandes an den Tag gelegt wurde, die vielen kleinen Details und der stimmige Soundtrack beglücken Zuschauer:innen vorzüglich auf einer sensorischen Ebene. Sicher, das ist alles intendierter Camp, aber zum Glück mehr der Baz Luhrmann Camp, denn der KUNG FURY Camp. Auf dieser Rezeptionsebene ist BARBIE rein gar nichts vorzuwerfen. Gerwig schöpft in der Inszenierung aus einem reichhaltigen cineastischen Referenzrahmen, der stimmig Jacques Tati, Marylin Monroe und die Wachowski-Geschwister verquickt.
Im zweiten Schritt sollten wir uns die Geschichte von BARBIE anschauen. Regisseurin Greta Gerwig interessierte sich in ihrem Werk (LADYBIRD, LITTLE WOMEN u. a.) sehr für Mutter-Tochter Beziehungen. Die sind auch Thema in BARBIE. Da wird das Verhältnis von Spielzeug, also Barbie und damit irgendwo auch Tochter, zur spielenden Person, und damit „Mutter“ an mehreren Momenten geschickt hinterfragt. Dann erzählt von einer fleischlichen Mutter-Tochter Beziehung zwischen Gloria (America Ferrera), einer Mattel-Angestellten und ihrer Instagramm-Aktivistin Tochter Sasha (Ariana Greenblatt) und wie das Symbol Barbie, ob einer gemeinsamen Vergangenheit, Anknüpfungspunkte in einer etwas entfremdeten Beziehung bieten kann. Und schließlich tritt Barbie auch noch ihrer Schöpferin, Ruth Handler (Rhea Perlman) gegenüber.
Unter dem Oberbau einer im wahrsten Sinne des Wortes grellen Satire verbindet das Drehbuch von Gerwig und Noah Baumbach diese drei Beziehungsebenen mit bissigen Kommentaren auf die postmoderne Conditio humanae, den Feminismus, Corporate Identities (großartig etwa die Fake Trailer von Mattel, in der pseudo-woke-brand-aktivismus gekonnt persifliert wird) und toxische Männlichkeit. Subtil ist das selten, sehr häufig aber sehr komisch. Gerade Ryan Gosling brilliert als stereotypscher Ken und persifliert gekonnt sein Sexsymbol-Image. Immer dann, wenn er uns eine neu gewonnene Vorstellung von Männlichkeit ins Zentrum der Handlung rücken, blüht BARBIE auf. Mehr als einmal fühlt man sich als männlich gelesener Zuschauer ertappt, wenn Ken die Vorteile des Patriacharts kennenlernt, das Barbieland zum dystopischen Kenland umwandelt oder die Barbies lernen, wie einfach es doch schlussendlich ist, fragile Männlichkeitsegos zu kontrollieren (einfach mal erwähnen, man habe noch nie DER PATE gesehen und schauen, wie der Mann, pardon, Ken, so reagiert). Das ist alles sehr amüsant und gut getimt, aber auch ziemlich harmlos. Denn immer dann, wenn es wirklich ungemütlich werden könnte oder vielleicht sogar identitätstranszendierend, kneift das Drehbuch und entscheidet sich für eine Happy-Go-Lucky Attitüde. Und das hängt unverkennbar mit der dritten Lesart von BARBIE zusammen.
Denn machen wir uns nichts vor. BARBIE ist ein Produktfilm. Auf der einen Seite stellt er das auch unverblümt nach außen, so werden uns etwa alle im Film gezeigten Barbie-Produkte fein säuberlich im Abspann aufgelistet. Aber das, was man fast schon ehrlich nennen könnte, wird durch eine perfide Art des Humors konterkariert und macht den BARBIE-Film in seinem Inneren ziemlich eklig. Denn die Art und Weise, wie sich Mattel hier selbst als oberbösen Konzern, direkt entliehen aus TATIS HERRLICHE ZEITEN (1967) darstellt, ist natürlich nichts weiter als eine streng kalkulierte Marketing-Maßnahme. Man sieht die öffentliche Reaktion schon vor sich: „Schaut mal, wie sympathisch Mattel doch sind, die haben ja voll die Selbstironie“. Kotz. Da kann dann auch noch so selbstkritisch die Funktion und Relevanz des Symbols Barbies offen im Text verhandelt werden, ehrlich ist das nicht, sondern zutiefst kalkuliert. Denn so sehr Gerwig es über zwei Stunden auch versucht, herauszufinden, um was es bei der Barbie Figur eigentlich geht und warum sie die Zeit überdauert hat, einer Antwort, die über einen Werbetext hinausgeht, die einen also vielleicht auch emotional ergreifen würde, bleibt sie schuldig. Der THE LEGO MOVIE (2014) ist natürlich auch nicht mehr als Product-Placement, aber ihm gelang es tatsächlich, in seinem Endtwist (der von Hollywood natürlich wie immer grandios falsch verstanden wurde), das Herz hinter der Marke Lego zu finden. Vielleicht hat die Figur der Barbie auch gar kein Herz.
Nicht zufälligerweise hat der Film an Margot Robbies Figur, die immerhin die Stereotyp-Barbie verkörpert, am wenigsten Interesse. Vielleicht ist sie schlussendlich nur oberflächlicher Spaß, eine in Plastik gegossene Eskapismusfantasie. Aber für diese Antwort scheint sich BARBIE dann doch etwas zu schämen. Wie er sich auch für sein Sujet zu schämen scheint, und mit allzeitiger Ironie und Dauercamp-Inszenierung in den Kampf zieht. Wie gesagt, das ist sehr unterhaltsam. Aber zu sich selbst stehen, tut BARBIE leider nicht.