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Avatar: The Way Of Water (2022) – Filmktitik

„Dinge, die wir Menschen niemals glauben würden“

13 Jahre dauerte die Wartezeit auf AVATAR: THE WAY OF WATER. Der Release des Filmes zeigt vor allem eins: James Cameron hat gefehlt.

„We’ll meet again in 25 years“, entließ uns David Lynch 1992 in eine ungewisse TWIN PEAKS Zukunft. Ganz so lange hat sich Cameron dann nicht Zeit gelassen. Aber auch 13 Jahre sind eine ganz schön lange Zeit. In diesem Zeitraum kann man eine komplette gymnasiale Schullaufbahn vollenden, wenn man sich anstrengt ein Bachelor- und Masterstudium abschließen sowie eine Dissertation vorlegen, oder einen BOYHOOD drehen. Aber die Zeit steht auch nicht still in diesen 13 Jahren, seitdem AVATAR: AUFBRAUCH NACH PANDORA (2009) die Hand ausstreckte und uns im letzten ehrlichen Blockbuster auf den abfällig gerne Schlumpfplaneten getauften Himmelskörper entführte. Was war das 2009 für ein Ereignis. Und was ist alles passiert seitdem. Die Kino- und Medienlandschaft hat sich verändert, wir sind politisch sensibler geworden, Harambe ist gestorben. Wir sind erwachsen geworden. Wenn wir nun in die Kinos rennen, heulen wir dann ein bisschen verzweifelt unserer doch etwas verblassten Jugend hinterher, um dann festzustellen, dass früher irgendwie doch mehr Lametta war? Oder können wir uns nochmal verzaubern lassen?

©2022 20th Century Studios

AVATAR: THE WAY OF WATER fühlt sich an wie aus der Zeit gefallen. Im positiven wie im negativen. Beziehungsweise, was heißt in diesem Fall negativ? Man würde einiges anders machen, heute. Man würde die Frauenrollen wohl nicht nur zu Stichwortgeberinnen degradieren. Man würde vielleicht keine Bilder aus alten Wild-West-Filmen, in denen Indianer (bewusst wird hier nicht der angebrachte Term „native americans“ verwendet, um die Bildassoziation besser zu verdeutlichen) einen Zug überfallen, referenzieren. Und man würde sich fragen, ob der Vietnamkrieg nicht schon etwas zu lange her ist, um dessen Ästhetik beizeiten anzuwenden. Aber irgendwie stößt einem das beim Schauen nicht primär sauer auf. Zumindest nicht bei Regisseur James Cameron. Der weiß um die Kraft von (seinen) Bildern, dass ein gut gewähltes Bild manchmal mehr aussagt als ein zehnminütiger Monolog. Man denke nur ein das großartige erste Aufeinandertreffen von Schwarzenegger und Patrick in TERMINATOR 2, indem Patrick in Polizeiuniform und Schwarzenegger in der ikonischen Lederkluft für Außenstehende ein klares, vordergründiges und traditionelles Gut/Böse Schema verkörperten, alleine wir als Zuschauer:innen wussten es besser. Und wir wissen es eigentlich auch bei AVATAR 2 besser. Das Schockierende im Kinosaal ist, so stellt man kurzerhand fest, nicht das Zeigen der überholten Bilder, es ist viel mehr das Bewusstsein, dass wir diese Art von Irritationen in den 13 Jahren Blockbustergeschichte zwischen Teil 1 und 2 nicht mehr erlebt haben. Wir sind gewöhnt an die glattgeleckten Fließbandproduktionen, die keinen Raum und keine Zeit zum Nachdenken lassen, die sich vordergründig Woke und Awareness schaffend geben, im Inneren aber längst jeglichen Respekt vor menschlichem Leben verloren haben. Der Tod bedeutet wieder etwas im zweiten Ausflug nach Pandora.

©2022 20th Century Studios

Die erste Stunde sitzt man dann auch etwas irritiert im Sessel, weil noch nicht so ganz ersichtlich ist, was der Film uns eigentlich erzählen möchte. Man könnte formulieren und metaphorisieren, AVATAR: THE WAY OF WATER gleitet etwas mühsam in eine Erzählspur, ein bisschen so, als müsste man vor der Autobahn noch die alte, seit den 90ern nicht mehr restaurierte Dorfstraße befahren, um dann mit Vollgas loszulegen. Wir sind uns der Abgedroschenheit dieses Beispiels durchaus bewusst, wir nehmen sie in diesem Falle aber mal kurz ernst. Cameron tut es ja auch. Der mit 193 Minuten sicherlich nicht gerade kurze Film gönnt sich immer wieder überraschende Ruhepausen und hat einen gewissen Hang zum Meditativen, vielleicht sogar zum Kitschigen. Er bricht diese Momente aber auch nicht. Hier dreht sich niemand zwinkernd in die Kamera und kommentiert im Ironiekrebsmodus, hier wird aufrichtig gestaunt, sowie auch die gesamte Abwesenheit von inszenatorischem Zynismus dem Film hoch anzurechnen ist.

©2022 20th Century Studios

Natürlich ist das alles sehr affirmativ. Wenn Rainald Goetz in seinem Roman RAVE stellvertretend für eine ganze Generation „Geil, Geil, Geil“ sagt, dann sagt auch Cameron: „Pandora ist Geil. Spektakel ist Geil“. Klar, man kann da drüberstehen. Und man hat ja irgendwo auch recht, wenn man sich auf dem Rave hinstellt und klarmacht, dass es eigentlich gerade dringendere Probleme auf der Welt gibt, mit denen man sich auseinandersetzen könnte, anstatt dem Hedonismus zu frönen. Man kann aber auch mitmachen. Das Kino ist als Spektakel gestartet, mit die ersten Filme überhaupt waren Zaubertricks, Hallo Georges Méliès. Auch AVATAR: THE WAY OF WATER ist unterm Strich betrachtet so ein spektakulärer Zaubertrick, nur dass hier das Zusammenspiel von Computer und Menschen die große Frage nach dem Wie? bekleidet.

©2022 20th Century Studios

Und spektakulärer als in den Wasserszenen, in Zusammenspiel mit dem 3D Effekt, wird es im Kino erstmal nicht mehr.

Der Weltraum als alter final frontier ist längst auserkundet, zumindest im Kino. Wir haben ihn in allen seinen Varianten gesehen, als Märchen in STAR WARS, als Ort des Grauens in ALIEN, als Utopie in STAR TREK und VALERIAN. Spätestens James Grays grandioser AD ASTRA war der endgültige Schwanengesang auf das Novum des Raumes Weltall, als sich Brad Pitt in einer postmodernen Schnitzeljagd zu seinem Vater durchkämpfte. Die Unterwasserwelt haben wir auch realweltlich noch nicht ganz erkundet. Der Ozean fasziniert uns, er ängstigt uns. Er ist so anders als die uns bekannte Welt, er widersetzt sich jeder Form terrestrischen Denkens.

©2022 20th Century Studios

Joliene Mathieson hat den Ozean beschrieben als

„so radical that it can’t be fully comprehended by the empirical models available to us. Instead, our inherent epistemic response is to conceive the reality of the hypermaterial through the metonymic and metaphoric paradigm of the unreal, the supernatural, the uncanny“.[1]

©2022 20th Century Studios

AVATAR: THE WAY OF WATER widersetzt sich dieser Ästhetisierung des Unheimlichen auf spannende Weise. Wie auch schon im Vorgänger dechiffriert er eine eigentlich feindliche Welt ins Verständliche und Friedliche. Die Seekreaturen wirken auf den ersten Blick, ob ihrer mit unserem Denken nicht sofort mit Sinnhaftigkeit besetzbaren Körpern unnatürlich, gruselig, feindlich. Sie sprechen eine inhärent andere Sprache. Die Metkayina, der neue Na’vi Stamm, denn wir in THE WAY OF WATER kennenlernen, sprechen die Sprache des Ozeans und leben mit ihm in Einklang und der, so die große Überraschung, ist eigentlich friedlich. Und so kann man das Angebot Camerons natürlich auch doppeldeutig sehen: Einmal für die Figuren in der Diegese, diese neue Welt zu erkunden. Und als Handreichung für andere Filmemacher:innen, die Angst vor dem neuen final frontier und dem oceanic weird zu verlieren.

©2022 20th Century Studios

Abgesehen von diesem Moment bleibt Camerons Unterwasserinszenierung aber klassisch traditionell, es ist alles sehr sphärisch, geradezu trippy. Trotz dieser gewissen Vertrautheit: Das sind Bilder, die im Kopf bleiben.

AVATAR: THE WAY OF WATER ist ein Kinoerlebnis. Das ist auch genauso gemeint. Ein Erlebnis fürs Kino. Ein Film, der uns wieder Staunen lässt. Nach dem Verlassen des Saales kann man sich durchaus wie Replikant Roy Batty fühlen, denn man hat wahrhaftig Dinge gesehen, die wir Menschen niemals glauben würden. Und ist dafür nicht das Kino da?

© Fynn

[1]  Mathieson, Jolene. “ The Oceanic Weird, Wet Ontologies and Hydro-Criticism in China Mieville’s The Scar” In: Greve, Julius; Zappe, Florian [Ed.]. Spaces and Fictions of the Weird and the Fantastic. Ecologies, Geographies, Oddities. Switzerland: Palgrave Macmillan. 2019. S. 119.

 

Titel, Cast und CrewAvatar: The Way of Water (2022)
Poster
RegieJames Cameron
ReleaseKinostart: 14.12.2022
Trailer
BesetzungSam Worthington (Jake Sully)
Zoe Saldana (Neytiri)
Stephen Lang (Col. Miles Quaritch)
Giovanni Ribisi (Parker Selfridge)
Dileep Rao (Dr. Max Patel)
CCH Pounder (Moat)
Matt Gerald (Corporal Lyle Wainfleet)
Sigourney Weaver (Kiri)
Kate Winslet (Ronal)
Cliff Curtis (Tonowari)
Edie Falco (General Ardmore)
Brendan Cowell (Captain Mick Scoresby)
Michelle Yeoh (Dr. Karina Mogue)
Jemaine Clement (Dr. Ian Garvin)
Oona Chaplin (Varang)
DrehbuchJames Cameron
Josh Friedman
KameraRussell Carpenter
MusikSimon Franglen
SchnittJames Cameron
Stephen E. Rivkin
David Brenner
John Refoua
Filmlänge193 Minuten
FSKAb 12 Jahren

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