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Asteroid City (2023) – Filmkritik

Das ging schnell. Nach dem revolutionsbejahenden THE FRENCH DISPATCH (2021) kommen Anderson-iaks oder Wes-ianer (?) zügig in den Genuss einer weiteren Aufführung des freundlichen Puppenspielers. ASTEROID CITY gehorcht den vertrauten Zutaten aus der Küche des Regisseurs Wes Anderson wie dem endlosen Superstar-Cast, den schrullig-hyperintellektuellen Charakteren, dem nostalgisch-verklärten Retro-Setting und der ganz besonderen Mischung aus Nerdismus und Melancholie. Das alles wird auf der grundlegenden Frage geköchelt, welcher alle Werke nachgehen: Was ist der Sinn des Lebens? Die Antwort liegt in der permanenten Nostalgie seiner Inszenierung, denn Nostalgie bedeutet sich mit der eigenen Kindheit auseinanderzusetzen und somit auch der eigenen Endlichkeit. In ASTEROID CITY nähert er sich der Existenzfrage aus zwei Richtungen an, die ihm nicht unbekannt sind: aus einer wissenschaftlichen (DIE TIEFSEETAUCHER) und einer künstlerischen (DARJEELING LIMITED).

©2022 Pop. 87 Productions LLC

Handlung

1955, in einem verschlafenen Ort namens Asteroid City (Einwohnerzahl 87) werden High-School-Schüler für ihre Wissenschaftsprojekte ausgezeichnet. Das Dörfchen in der amerikanischen Wüste mit kaum mehr als einem Motel und einer Tankstelle hat seinen Namen nicht von ungefähr, denn vor 3.000 Jahren schlug hier ein Meteorit ein. Den Krater und das Gestein kann man zu gegebenen Öffnungszeiten besichtigen und in der unmittelbaren Nachbarschaft lauscht ein Observatorium ins Weltall. Alle Anzeichen stehen auf Science-Fiction.

©2022 Pop. 87 Productions LLC

Aber zurück zur Junior Stargazer Convention: Familie Steenbeck schafft es gerade noch, dank des Abschleppdiensts, pünktlich zur Verleihung. Vater Augie Steenbeck (Jason Schwartzman) ist Kriegsfotograf, Sohn Woodrow (Jake Ryan) erhält eine Auszeichnung dafür, den Mond als Projektionsfläche zu nutzen und die drei kleinen Töchter folgen ihrem verschwörerischen kindlichen Tun. Mutter Steenbeck ist vor kurzem gestorben. Großvater Stanley Zak (Tom Hanks) macht sich auf den Weg die Familie abzuholen und wohnt der Zeremonie seines Enkels bei. Zu dieser, von der Regierung geförderten, Veranstaltung gesellen sich die Schauspielerin Midge Campbell (Scarlett Johansson) mit Tochter und weitere Eltern mit Wunderkindern. Doch ein übernatürliches Wesen steht nicht auf der Gästeliste, was nach seinem Erscheinen und Diebstahl des Asteroiden, die ganze Ortschaft in Quarantäne versetzt.

©2022 Pop. 87 Productions LLC

Ein Stück im Stück

Wes Anderson kann es nicht lassen, nur eine Geschichte über den jugendlichen Wissenschaftsdurst der 1950er Jahre zu erzählen. Im schwarzweißen Prolog, kommentiert von einem TV-Moderator (Bryan Cranston), wird darauf hingewiesen, dass in Asteroid City der Dramatiker Conrad Earp (Edward Norton) ein gleichnamiges Theaterstück schreibt. Die Arbeiten und die Aufführung, unter anderem mit Adrien Brody als Regisseur, unterbrechen hin und wieder das farbenprächtige Diorama im Monument Valley. Wir sehen also eine Fernsehreportage über die Produktion eines Bühnenstücks (schwarzweiß) und dessen Aufführung als Kinofilm (in Farbe) zugleich.

©2022 Pop. 87 Productions LLC

Das bringt ASTROID CITY auf eine selbstreferenzielle Ebene und deckt zudem die Kunstgewerke Schreiben, Fotografieren, Schauspielen, Inszenieren ab und stellt zusammen mit dem Theater alles auf eine facettenreiche Bühne. Die Trennung zwischen den beiden Ebenen, dem schwarzweißen Theaterstück und dem bunten Science-Fiction-Städtchen, wird nicht mit klarer Linie vollzogen. Allein die Rolle der Schauspielerin Midge Cambell gibt einen Einblick in die Schwierigkeiten der Schauspielerei und zum Ende werden sogar Türen zwischen beiden Welten für eine Zigarettenpause geöffnet. Aber keine Sorge, verkopfte Erzähltheorie wird nicht verhandelt, der Spaß steht im Vordergrund.

©2022 Pop. 87 Productions LLC

Die wahre Bühne

Die innige Freude, die man bei einem Wes-Anderson-Film erlebt, lebt von der kreativen, meist handwerklichen Arbeit. Modellbau, Kostümdesign, Szenenbild und Requisiten werden von der unverwechselbaren statischen Kompositionshandschrift des Regisseurs liebenswert veredelt. Zweidimensionale und selbstgebaute Bühnen bekommen durch die Zusammenstellung eine Tiefe, die man in 3D-Filmen nie erreichen wird. Es gibt immer neben monologisierenden und diskutierenden Figuren etwas zu entdecken, ironische Warnschilder, Immobilien-Automaten oder einen Schweizer Müller-Schmidt-Fotoapparat. Die Liebe steckt bekanntlich im kreativen Detail und auch wenn der Autorenfilmer Anderson in ASTEROID CITY keine absolute Kontrolle wie in seinen Stop-Motion-Filmen (ISLE OF DOGS, DER FANTASTISCHE MR. FOX) ausüben kann, ist die Szenerie eng gesteckt und detailreich designt. Der Eindruck drängt sich auf, dass die Drehbuchautoren Roman Coppola und Wes Anderson sich erst die Charaktere ausdachten, um sie dann in der Quarantänesituation miteinander kollidieren zu lassen.

©2022 Pop. 87 Productions LLC

Deutungsebene

Die Pandemiejahre unserer Realität lassen sich mit den Tagen in ASTEROID CITY durchaus vergleichen. Alles wurde zum Erliegen gebracht. Die Familien rückten zusammen, ob im Guten oder Schlechten, und es gab Zeit zum Nachdenken – vielleicht bei einem Martini aus dem Automaten. Nachbarschaften wurden über Balkone geknüpft, Regierungsvertreter verlasen Katastrophenprotokolle und die Jugend war in ihrem Wissen den Erwachsenen längst überlegen, wurde aber nicht ernst genommen. Wenn die Wirtschaftlichkeit auf Pause gestellt ist, ist Zeit für Kreatives.

Die Figur des Schöpfers Conrad Earp, im kindlichen Morgenmantel an der Schreibmaschine, ist vielleicht Andersons Alter Ego, das sich seiner Vergangenheit bewusst ist. Die Theaterumrandung ist jedoch stets ein kleiner Bruch zum 50er-Jahre-Science-Fiction-Setting und mag nicht ganz dazu passen. Vielleicht sucht Anderson die Kunst in der damaligen Wissenschaftseuphorie aus Atombombentest und Aliensuche, aber vielleicht gibt es sie ja gar nicht und es ist reine Popkultur. Einer stringenten Interpretation haben sich die Filme von Wes Anderson stets verwehrt, es verbleiben liebenswerte Charaktere, schräger Humor und Sätze, die zum Philosophieren einladen: „You Can’t Wake Up, If You Don’t Fall Asleep.“

©2022 Pop. 87 Productions LLC

Fazit

Es wurde Zeit, dass sich Wes Anderson der 50er-Jahre-Science-Fiction einmal annimmt, aber er tut dies auf unerwartete Weise und mit dem Hinterfragen des Kunstbetriebs als solches, wie schon in seinem Werk zuvor. Auch wenn ASTEROID CITY nicht zu seinen besten Filmen zählt, bleibt er vor allem dank der jungen Schauspieler und der knallbunten Welt in der Wüste Arizonas in wohliger Erinnerung. ASTEROID CITY sollte jeder Kinofan auf dem Reiseplan haben.

© Christoph Müller

Titel, Cast und CrewAsteroid City (2023)
Poster
ReleaseKinostart: 15.06.2023
RegisseurWes Anderson
Trailer
BesetzungJason Schwartzman (Augie Steenbeck /Jonas Hall)
Scarlett Johansson (Midge Campbell / Mercedes Ford)
Tom Hanks (Stanley Zak)
Jake Ryan (Woodrow Steenbeck)
Jeffrey Wright (General Grif Gibson)
Tilda Swinton (Dr. Hickenlooper)
Adrien Brody (Schubert Green)
Margot Robbie (Die Schauspielerin / Ehefrau Steenbeck))
Rupert Friend (Montana / Asquith Eden)
Bryan Cranston (der Fernsehmoderator)
Jeff Goldblum (das Alien)
Hope Davis (Sandy Borden)
Liev Schreiber (J.J. Kellogg)
Tony Revolori (der Aide-de-Camp)
Matt Dillon (Der Mechaniker / Walter Geronimo)
Sophia Lillis (Shelly / Lucretia Shaver)
Edward Norton (Conrad Earp)
Maya Hawke (June Douglas)
Steve Carell (der Motelbesitzer)
Willem Dafoe (Salzburg Keitel)
Stephen Park (Roger Cho / Linus Mao)
Hong Chau (Polly)
Grace Edwards (Dinah)
Aristou Meehan (Clifford)
Ethan Josh Lee (Ricky)
DrehbuchWes Anderson
Roman Coppola
KameraRobert D. Yeoman
MusikAlexandre Desplat
SchnittBarney Pilling
Filmlänge106 Minuten
FSKab 6 Jahren

2 Gedanken zu „Asteroid City (2023) – Filmkritik“

  1. Nach dem ‚ ersten Mal‘ dachte ich mir ebenfalls: ‚Auch wenn ASTEROID CITY nicht zu seinen besten Filmen zählt….‘ – nach dem zweiten Mal aber: ‚Hmm, vielleicht der beste Wes Anderson von allen seinen Filmen.‘ Zumindest aber die komplexeste und radikalste Ausführung seiner ganz eigenen Filmsprache, bisher. Wes Andersons Filme lohnen sich immer, mehrmals anzusehn. – Treffende und gut fundierte Filmkritik. Danke dafür. Meist sind Filmkritiken so schlecht, dass ich mir angewöhnt habe, nach schlechter Kritik grad extra ins Kino zu gehn, und so meist in meinem Gefühl bestätigt werde. (…never read critics at SRF 😉

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