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Asphalt-Cowboy (1969) – Filmkritik

ASPHALT-COWBOY ist nicht nur ein essenzieller Vertreter des New Hollywood, sondern auch ein Must See für jeden Cineasten. Während heute nach der Oscarverleihung heftig gestritten wird, ob der Gewinnerfilm seinen Preis wirklich würdig ist, gab es 1970 keine Diskussion darüber, dass MIDNIGHT COWBOY (1969) der Beste Film des Jahres ist. Okay, man kann mit dem ebenfalls nominierten ZWEI BANDITEN (BUTCH CASSIDY AND THE SUNDANCE KID, 1969) gegenhalten, aber selbst, wenn man den Buddy-Western liebt, wie ich es tue, muss man eingestehen, dass John Schlesingers Drama ASPHALT-COWBOY originell, frisch, modern und mutig ist. Die Geschichte über zwei naive Männer packt einen heute noch bis ins Mark. Die jungen Herzen der beiden Männer werden direkt von der Stadt New York zum Bodensatz der Gesellschaft durchgereicht. Es ist eine Zeit, in der die USA ihren Bürgerinnen und Bürgern alles verspricht, aber im gleichen Atemzug gnadenlos ihre Träume zerstört. Die beliebte Geschichte, in der die junge Schönheit vom Lande in die große Stadt zieht, um ein Star zu werden, wird in ASPHALT-COWBOY maskulin neu interpretiert und mit einer solch schonungslosen Ehrlichkeit zersetzt, dass man selbst heute noch feuchte Augen bekommt, wenn man die beiden Herumtreiber durch die Straßen New Yorks streifen sieht, auf der Suche nach etwas Geld, Wärme und der Erfüllung ihrer Träume.

© Arthaus/Studiocanal

Handlung

Das Leben als Tellerwäscher lässt der 28-jährige Texaner Joe Buck (Jon Voight) von einem Tag auf den nächsten hinter sich. Er putzt sich in seinem besten Cowboyoutfit heraus, steigt in den Bus und tritt die mehrtägige Fahrt nach New York an. Dort will er sein Geld als Gigolo verdienen. Die Stadt soll voll von reichen, einsamen Damen sein, die sich gern in die Arme des hochgewachsenen jungen Mannes schmiegen möchten und bereitwillig dafür zahlen. Doch seine blauen Augen müssen schnell erkennen, dass es gar nicht so leicht ist, im urbanen Treiben Kundinnen zu finden. Die Stadt und ihre Bewohner sorgen zudem dafür, dass Joe sein gespartes Geld schneller ausgibt, als das welches reinkommt. Dafür sorgt auch der gerissene Rizzo (Dustin Hoffman), der Joe ein paar Dollar Vermittlungsgebühr fürs Sexgewerbe aus der Tasche zieht. Nachdem Joe Tage später, hungrig und obdachlos, durch die windigen Straßen New Yorks streift, entdeckt er wieder Rizzo, den er hartnäckig Ratso nennt. Rizzo kann ihm sein Geld nicht zurückgeben, ist genauso abgebrannt wie Joe, bietet ihm jedoch eine Unterkunft in einem verlassenen Gebäude an. Dort hat er eine Wohnung besetzt. Der Häuserblock wartet jedoch auf den Abriss. Es beginnt eine Freundschaft im Kampf ums Überleben in der Metropole im Angesicht der 1970er Jahre.

© Arthaus/Studiocanal

Gedanken sehen

Manchmal meint man die Gedanken von Filmfiguren in der Schauspielerdarstellung zu erkennen. John Schlesinger geht einen Schritt weiter und zeigt sie seinem Publikum. ASPHALT-COWBOY enthält immer wieder unerwartete Schnitte, wie Erinnerungen oder Fantasien der Hauptfigur, die uns einen Einblick in die Persönlichkeit, Emotionen und Dämonen von Joe geben. Zu Beginn glaubt er noch zu wissen, wie es in seiner Arbeitsstelle drunter und drüber geht, weil er nicht da ist – ein Gedanke, den sicher jeder Angestellte einmal hatte, dass ohne einen selbst nichts geht – aber, und so wird es bei vielen sein, die Realität sieht anders aus. Jeder ist ersetzbar. Das muss auch Joe erkennen und als er die New-York-Pläne seinem Kollegen verkündet, scheint es egal zu sein. Ein neuer Tellerwäscher wird schon kommen.

© Arthaus/Studiocanal

Der Film beginnt mit einer Busreise, Blicken aus dem Fenster in ein differenziertes Land, kurzen Gesprächen mit Mitreisenden und Erinnerungsfetzen aus Joes Vergangenheit. Die Großmutter, die ihn aufzog, der unterschwellige Missbrauch, eine mögliche große Liebe und ein traumatisches Ereignis erzählen bruchstückhaft davon. Wenn Joe mit seinen einstudierten Sprüchen im Big Apple ankommt, kennt man ihn bereits und weiß, dass die echte Welt seinen Plänen nicht gehorchen will. Schlesinger lässt die Kamera laufen, begleitet Hauptdarsteller Jon Voigt durch den Großstadtdschungel. Für die Bewohner ist der Aufzug des Texaners nur ein weiterer Verrückter, der hier gern auffallen will. Als es Joe dann doch gelingt eine Dame nach Hause zu begleiten, erkennen wir spätestens jetzt, dass Joe nicht für das Gewerbe des Gigolos gemacht ist. Er zahlt sogar noch das Taxigeld der Dame, als dass er etwas einnimmt, ein Gentleman eben. Es braucht nur wenige Begegnungen solcher Art mit New Yorkern und Joe lebt auf der Straße ohne jeglichen Besitz. Hungrig durchstreift er die Gegend und selbst seine Dienste für Männer anzubieten, bringt nichts ein, wird fast zu einem Überfall. Den heldenhaften Cowboy lässt er hinter sich, er trägt nur noch dessen verschlissene Uniform. Dies ist das erste Filmdrittel und jetzt erst beginnt ASPHALT-COWBOY.

© Arthaus/Studiocanal

Freundschaft

Das Herzstück ist nicht sein Protagonist, sondern es ist die Beziehung zwischen Joe und Rizzo, die sich entwickelt. Aus Misstrauen entsteht eine anfängliche Zusammenarbeit. Rizzo hilft mit seiner Straßencleverness den guten Joe noch einmal aufzumöbeln. Doch das Geschäft scheitert an den altbackenen Manieren des Texaners. Beide schlagen sich mitleiderregend durch, frieren, wärmen sich an ihren Träumen und nutzen eine Drogenparty, um sich satt zu essen. Die Beziehung dieses nicht nur körperlich ungleichen Paars funktioniert auf der Leinwand auch wegen ihrer Verschlossenheit so ausgezeichnet. Joes Jugend hat man sich mit Hilfe der Erinnerungs-Flashbacks vielleicht zusammengereimt, aber Rizzo verrät so gut wie gar nichts über sich, außer, dass sein Vater tot ist. Wurde er von der Familie verstoßen? Liegt es vielleicht daran, was man immer wieder in seinen Augen zu erkennen vermag, wenn er Joe anschaut.

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Was ist ein Mann?

Neben dem gefühlvollen Portrait einer Freundschaft im Angesicht des Gesellschaftsabgrunds, wirft ASPHALT-COWBOY unterschiedliche Perspektiven auf das Idealbild eines Mannes auf. Was macht einen Mann aus? Und noch viel mehr, welches Abbild zeichnen die US-Medien? Das Bild des freien Cowboys drängt sich in den Vordergrund. Er ist ungebunden, für ihn gibt es keine Fesseln eines Zuhauses. Selbst die Frauen kann er sich aussuchen und Geld von ihnen für seinen Körper verlangen. Aber die Welt Ende der 1960er Jahre ist eine andere, wie es Joe im Kino – ein Poster von Paul Newman in seinem Hotelzimmer deutet es an – und im Fernsehen kennengelernt hat. Nicht nur geografisch gibt es Differenzen zwischen New York und Texas, sondern auch kulturell. Im Schmelztiegel aus Zuwanderern in New York ist jeder sich selbst der nächste.

© Arthaus/Studiocanal

Zusätzlich wird dem Männlichkeitsbild sogar die Potenz entzogen, als Joe auf die starke Shirley (Brenda Vaccaro) trifft. Vielleicht bestimmt doch das Geld, wer in einer Beziehung die Hosen trägt? Der Gegenentwurf des männlichen Ideals ist Rizzo. Klein, schwach, seine Gesundheit wird immer schlechter im Zuge einer Tuberkulose. Mit Hygiene scheint er es nicht so zu haben, aber er teilt dennoch seine Überlebensstrategien mit Joe wie auch sein Hab und Gut. Will er vielleicht nur dessen Schutz, sieht er in ihm ein Investment oder ist da so etwas wie Liebe zu erkennen?

© Arthaus/Studiocanal

Die Produktion

Für Hauptdarsteller Jon Voight bedeutete ASPHALT-COWBOY den Start in eine erfolgreiche Karriere, wie zum Beispiel mit DIE AKTE ODESSA (1974) und COMING HOME (1979). Für Method Actor Dustin Hoffman war MIDNIGHT COWBOY der zweite große Darstellererfolg nach DIE REIFEPÜFUNG (THE GRADUATE, 1967) und sein Auftritt besiegelte endgültige eine Jahrzehnte andauernde Karriere in Hollywood als Charakterdarsteller. Berühmt ist Hoffmann vor allem für seine Szene im Film, als er die Straße quert und beinahe von einem Taxi angefahren wird. Seinem Zorn macht er Luft mit den Worten „I’m walking here!, I’m walking here!“ (In der deutschen Synchro: „Wenn ich gehe, hast du Pause!“). Jahrelang hielt sich die Legende, auch dank Interviews mit Hoffman, dass der Taxifahrer kein Komparse war und Dustin einen echten New Yorker Taxifahrer anschrie. Jedoch widersprach Produzent Jarome Hellman in einem Audiokommentar dieser Geschichte – es gehörte alles zum Drehbuch. Nichtsdestotrotz arbeiteten Dustin Hoffman und Regisseur John Schlesinger Jahre später ein weiteres Mal zusammen: DER MARATHON MANN (1976) ist ein paranoider Thriller, der ein weiteres Mal von Hoffmans beeindruckender Charakterdarstellung lebt, wie auch Schlesingers Talent, urbane Lebensräume authentisch auf die Leinwand zu teleportieren. Neben den poetischen Bildern in ASPHALT-COWBOY von Kameramann Adam Holender, muss unbedingt die Musik von John Barry genannt werden. Seine Stücke bedienen sich beim Westerngenre, bringen aber durch ihre gefühlvollen Melodien Nähe zu den Figuren in einer Großstadt auf, die eher auf Entfremdung als auf Zusammenhalt zählt. Hörtipp: „Joe Buck Rides Again“.

© Arthaus/Studiocanal

Fazit

ASPHALT COWBOY ist intensives und vielfältiges Hinterfragen des amerikanischen Traums und des gesellschaftlichen Männlichkeitsbildes Ende der 1960er Jahre. Die Medienwelt erzeugte damals die ersten illusorischen Träume, die die echte Welt nicht erfüllen kann. Dieser wichtige New-Hollywood-Vertreter erzählt davon – kreativ, packend und unvergesslich.

 

Gesehen im Zuge meiner Filmchallenge #FLUXScorseseMasterclass.

© Christoph Müller

Titel, Cast und CrewAsphalt-Cowboy (1969)
OT: Midnight Cowboy
Poster
Releaseseit dem 06.06.2019 auf Blu-ray und DVD erhältlich.
RegisseurJohn Schlesinger
Trailer

OmU
BesetzungDustin Hoffman (Rizzo)
Jon Voight (Joe Buck)
Sylvia Miles (Cass)
John McGiver (Mr. O'Daniel)
Brenda Vaccaro (Shirley)
Barnard Hughes (Towny)
Ruth White (Sally Buck)
Jennifer Salt (Annie)
DrehbuchWaldo Salt
Drehbuchbasiert auf dem Roman von James Leo Herlihy
KameraAdam Holender
MusikJohn Barry
SchnittHugh A. Robertson
Filmlänge113 Minuten
FSKab 16 Jahren

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