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Apocalypse Now (1979)

Apocalypse Now – Final Cut | Filmkritik & Review des UHD-Steelbooks

„Mit der Zeit kommt das Ende“

Für manche Filme braucht es vor allem eines: Zeit.

Ja, es gibt sie, diese teils schwermütigen, auch langatmigen und etwas verrückten Filme. Da wird kein besonderer Wert auf straffe erzählerische Dynamik gelegt, um dem Publikum höchstens zwei Stunden Entertainment zu bieten. Ich gebe es ja zu: nur ab und zu habe ich selbst die Zeit, große Epen wirkmächtig in mir aufzunehmen. SIBIRIADE (1979, 4 ½ Std.) war so eines, 1900 von Bertolucci (1972, 5 Std.) durchaus, auch ES WAR EINMAL IN AMERIKA (1984, knapp 4 Std.) erkundet mit seiner ästhetischen Brillanz die Grenzen des langsamen Erzählens.
Einige, die ich kenne, halten APOCALYPSE NOW für einen der langweiligsten Kriegsfilme überhaupt. Ich wiederum, konsequenter Wehrdienstverweigerer und Kritiker jeglicher Waffen-Faszination, empfinde APOCALYPSE NOW seit meiner ersten Sichtung vor knapp 20 Jahren als ein ungebrochen unterhaltsames und visuell-erzählerisch spannendes Meisterwerk.

Apocalypse Now (1979)
© Studiocanal

Der Wahnsinn

Der besondere Reiz des Films geht für mich einher aus dessen geschickter Porträtierung des Wahnsinns des Krieges – hier: der Vietnamkrieg in all seiner „Popularität“, aber eigentlich erzählt der Film vom ultimativen Kriegserlebnis per se. Ich gab soeben zu: von Wehrdienst, geschweige denn Krieg, habe ich selbst keine persönliche Erfahrung. Doch kann ich mich mit noch relativ wenig Empathie in den Schrecken der Menschenvernichtung einfühlen, die seelische und körperliche Zerstörung deren Beteiligter nachvollziehen, die ihr Leben lang davon berichteten. Mein Großvater erzählte kaum über den Krieg, generell sprach er wenig, vor allem in seinen letzten Jahren. Er ging lieber mit mir am Ufer des Flusses spazieren, wenn wir zu Besuch waren, und wies mich auf die Poesie der Natur hin: Blätterrascheln, Vogelgezwitscher. Auch malte mein Großvater viel, in seiner langen späteren Phase vor allem Blumen und Landschaften.

Apocalypse Now (1979)
© Studiocanal

Doch ich habe eine Kohlezeichnung von ihm geerbt, die zeigt die ganzen Kanten und Furchen eines gegerbten Arbeitergesichts, eines alten Kollegen, wenige Jahre nach dem Feuersturm des Krieges. Diese Tristesse besitzt eindeutig expressionistische Züge und deckt sich eher mit den jungen Hetz- und Leidjahren meines Großvaters. Einmal erzählte er mir dann doch vom Krieg: wie er mit ansehen musste, wie einem Soldat in seiner Truppe das Bein abfror. Die Gulags, die sibirischen Gefangenenlager zählten zu den schlimmsten des Zweiten Weltkriegs. Vielleicht sind es die Erinnerungen an meinen Großvater, die mich Grauen und Poesie so nahe zueinander bringen lassen. Immer wenn ich die bedächtigen, märchenhaft gefilmten Bilder in APOCALYPSE NOW wieder sehe, denke ich stets auch an ihn. Es sind die Zeit und die Erinnerungen, die mich Zugang zu diesem Film haben finden lassen, weniger der technische Reiz und die Actionsequenzen manch anderer Kriegsfilme.

Das Grauen

Das Grauen entfaltet sich wie erwähnt poetisch und bedächtig in APOCALYPSE NOW. Vom ersten Bild an ist klar: das Ende ist da. Todgraue Rauchschwaden, saugende Antriebsgeräusche durch die Rotationsblätter eines Hubschraubers, die von links nach rechts und wieder zurück auf der Soundanlage vibrieren; dann bereits der große Knall und ein halber Tropenwald geht in den Flammen des Kriegsinfernos auf. Die Doors spielen „The End“, gleichermaßen populär wie effektiv halluzinatorisch zum Trauma des Captain Willard (Martin Sheen), der völlig entrückt in seinem Hotelzimmer auf und ab taumelt, schließlich die nackte Faust im Kampf mit dem eigenen Spiegelbild blutig schlägt. Er wird sich auf eine zweieinhalb- (Kinoversion), drei- (Final Cut) bzw. knapp dreieinhalbstündige (Redux) Odyssee begeben, nur um am Ende mit dem aufgequollenen Antlitz des ebenso verlorenen Colonel Kurtz (Marlon Brando) in sein eigenes dunkles Selbst zu schauen und den völlig entarteten Wahnsinn des Krieges persönlich zu manifestieren.

Apocalypse Now (1979)
© Zoetrope Studios / United Artists

„Vielen Leuten erschien der Film damals zu schräg“, statuiert Francis Ford Coppola in der aktuellen Einführung zum Final Cut. Es ist genau dieses andersartige, das den Film – jedenfalls für mich und einige andere – zum perfekten Kriegsfilm macht. APOCALYPSE NOW verleitet den Zuschauer. Man betritt mit den Protagonisten in aufwändig vor Ort gedrehten Sequenzen den wahren Dschungel der Verirrung, begibt sich langsam, lang und nachhaltig auf eine verstörende Reise ins „Herz der Finsternis“, wie Joseph Conrads literarische Vorlage heißt. Der Tod wird als eine verstörend intensive, aber auch beiläufige Sache im Grauen des Kriegsalltags dargestellt. Zynismus und existenzielle Kritik am amerikanischen Way of Life blitzen regelmäßig hervor. Wellenreiten mit dem Surf-Star in hochbrisantem Gelände fordert der Cowboy Lt. Colonel Kilgore (Robert Duvall), er liebe den Geruch von Napalm am Morgen. Die immer stärker entrückten Gesichter der jungen Garde (u.a. Laurence „Larry“ Fishburne) reflektieren die unaufhaltsame Desorientierung des Verstands.

Apocalypse Now (1979)
Laurence Fishburne // © Studiocanal

Ebenfalls wichtig und auch im Final Cut enthalten ist die dem Finale vorgelagerte Episode mit den französischen Kolonialisten. Eine perfekt choreografierte Gesprächs-/Essensszene verdeutlicht einerseits den Zerfall der „Familie“, die in Krisenzeiten besonders stark vereint erscheinen möchte, und zum anderen die absolute Sinnlosigkeit der Amerikaner in diesem ganzen Gefecht. Dass auch der (amerikanische) Kriegsfilm schon immer vom Western beeinflusst war und sich die Frontier-Mythologie weit über die staatlichen Grenzen nach Mexiko, Vietnam und sogar in den Weltraum hinaus entfaltet, lässt sich an Willards Irrfahrt entlang des dunklen Flusses klar ablesen: weit ins Landesinnere und bis kurz über die Grenze nach Kambodscha geht seine Reise. Zusammen mit den suchenden, ja irrenden Soldaten in APOCALYPSE NOW betreten wir ein Land, wo nur wenige Menschen leben und man vor allem eines spürt: Zeit. Zeit, die abläuft und doch irgendwie stehen zu bleiben scheint.

Die Auflösung von Zeit

Im soeben erschienenen filmwissenschaftlichen Fachband „Mediale Topographien“ (Verlag Springer VS), für den ich selbst ein Kapitel verfasst habe, spricht Mitherausgeber Marcus Stiglegger bezüglich APOCALYPSE NOW von einer „Auflösung von Zeit und Geschichte im mythischen Raum“, wenn gerade im Finale zahlreiche Elemente zu einem Passageort zwischen den Kulturen und Zeiten verschmelzen, wenn in Colonel Kurtz’ Tempel alle Zeiten in eine fallen und die lineare Geschichte keine Bedeutung [mehr] hat.[1] Zweifellos sind es gerade diese übergreifenden, atmosphärischen und medienästhetischen Erkenntnisse über den Film, die seinen ungebrochenen Reiz widerspiegeln. Eine weitere Beobachtung wäre der immense Einfluss von Regisseur und Drehbuchautor John Milius (CONAN DER BARBAR), der die Grundgeschichte von APOCALYPSE NOW für die Leinwand mit konzipiert hat und am Beispiel von Brandos Figur besonders das Motiv des Königsmords mit verarbeitet.

Der FINAL CUT

Der FINAL CUT dauert 182 Minuten, das sind knapp 20 Minuten weniger als die etwas aufgeblähte REDUX-Version, doch immer noch 35 Minuten mehr als die arg verknappte Kinofassung. Wieder entfernt hat Coppola die nächtlichen Stunden der Soldaten nach dem Playboy-Bunny-Spektakel, was einen weniger gebrochenen Erzählrhythmus bedeutet, aber die interessante Nuance der geradezu jungenhaften Geborgenheit und die verstärkte, zutiefst menschliche Sehnsucht der Männer nach Liebe vermissen lässt. Ebenso fehlen die erweiterten Aufnahmen von Brando im Beisein der Kinder, was das konsequent dämonenhafte seiner Figur aus der Kinofassung wiederherstellt, aber auch auch den menschlichen Faktor wieder streicht. Dadurch wirkt der Film insgesamt wieder düsterer und furchterregender, offenbar war das auch die Intention. Der intensiven Kinoerfahrung unseres Chefredakteurs Christoph lege ich hier kompakt die technischen Einzelheiten der neuen Final Cut Edition auf Blu-ray und UHD nach.

Apocalypse Now (1979)
APOCALYPSE NOW FINAL CUT im 4K-UHD, Blu-ray Steel book

Ergänzend zur „Full Disclosure“-Blu-ray-Box mit 3 Discs, die im Jahr 2011 erschien – der Film erstmals aufwändig in HD vom Originalnegativ restauriert – gesellt sich nun die 6-Disc-Edition, die den Film eben nun in 3 Fassungen erhält: Kinoversion (1979), Redux (2001) und Final Cut (2019). Sämtliche Extras, damals teils ganz neu, wurden von der „Full Disclosure“-Edition übernommen; so ist auch die von Coppolas Frau parallel zum Filmdreh initiierte Dokumentation HEARTS OF DARKNESS: A FILMMAKER’S APOCALYPSE (veröffentlicht 1991) in voller Länge enthalten. Es gibt alle Filmversionen sowohl in 4K-Auflösung (2x UHD) sowie als Blu-ray (2x), die 1979er-Kinoversion und die REDUX-Fassung sind per Seamless Branching auf jeweils einer hochauflösenden Disc enthalten. 2019 werden dem Fan nun auch wieder exklusive neue Extras präsentiert: Featurettes, Interviews, Dokumentationen. Um die 15 Stunden Extras kommen ingesamt zusammen, auch enthalten ist der 2001 entstandene, sehr aufschlussreiche Audiokommentar von Coppola himself.

Neues Bild und neuer Ton

Der Ton wurde vom DTS HD Master Audio 5.1 zum Dolby Atmos-Thron erhoben. Klang schon die 2011er-Restauration überwältigend und nutzte die Kapazitäten einer sehr guten Heimkinoanlage vollends aus (klangscharfe Details in den leisen Stellen wie Blätterrascheln, Wasserplätschern und zurückgenommenen Dialogen bis hin zu pumpend-vollem Tiefgang bei Explosionen und orchestralen Fortissimos), so bietet der Dolby Atmos-Ton, kompatibel mit 7.1- und 5.1-Soundsystemen, einen nochmals verbesserten, raumechten Klang. Allein dafür lohnt sich die Anschaffung der neuen Version. Die Original Stereospur ist in der neuen Box ausschließlich auf Englisch verfügbar, wohingegen diese bei der ersten Blu-ray 2011 nur auf Deutsch zu hören war, jedenfalls in der deutschen Auswertung. Entsprechend asynchron verhält es sich mit den Untertiteln, wenn 2011 zusätzlich Deutsch für Hörgeschädigte verfügbar war, was nun lediglich der Englischen Sprachfassung vorbehalten ist. Diese Abweichungen von Basis-Tonformaten und -Daten sind mir persönlich etwas rätselhaft, da es sich doch um denselben Verleih (Studiocanal) handelt und man auch alles gebündelt auf die Scheibe hätte packen können.

Apocalypse Now (1979)
Dennis Hopper // © Studiocanal

Beim Bild lassen sich noch stärkere Unterschiede zur ersten HD-Heimkinoveröffentlichung erkennen. Allgemein ist das Farbschema um viel erdigere Brauntöne herum angesiedelt, die Vegetation wirkt insgesamt „entsättigter“: viele leuchtende Grüntöne und auch das helle Blau des Himmels und des Wassers bei Tagaufnahmen sind nun weniger farbfrohen Grau-, Braun- und Grüntönen gewichen, wodurch der allgemeine Look einheitlicher und auch zeitloser wirkt. Ob diese im Sinne des ursprünglichen Kinobilds anno 1979 ist, lässt sich an dieser Stelle nicht sagen. Die Reise ins Herz der Finsternis, der Dschungel in APOCALYPSE NOW erscheint nun weniger funkelnd und exotisch, sondern viel düsterer und dreckiger.

Apocalypse Now (1979)
Robert Duvall (Oberst Kilgore) // © Studiocanal

Jedoch wurde in manchen Einstellungen auch der Kontrast künstlich und nachträglich arg in die Höhe geschraubt, wodurch manche Details im Hintergrund – vgl. das erste Treffen mit Col. Kilgore am Strand – arg bruchstückhaft am Bildrand verblassen (Palmwedel, Häuserspitzen) und der Horizont überhaupt nicht mehr blau sondern weißlich-verbrannt erscheint. Dennoch ist die neue 4K-Restauration die insgesamt detailreichste, lässt sich noch in den dunkelsten Stellen (zuletzt in Kurtz’ Lager) und in großzügigen Totalen der bisher meiste Bildinhalt erkennen. Für die Bild- und Tonvergleiche habe ich die jeweils restaurierten Filmbilder von Kinoversion, Redux und Final Cut (DVD von 2002 und Blu-rays 2011/2019) gegenübergestellt.

Apocalypse Now (1979)
Marlon Brando // © Studiocanal

Anmerkung: Man hätte bei dieser aktuellen Edition auch das erste HD-Master beilegen können, beispielsweise für die REDUX-Version. Da aber nun alle drei Filmfassung entsprechend der Restauration des FINAL CUT beiliegen, lässt sich ein Bildvergleich zwischen den Versionen nicht mehr innerhalb einer Kaufversion vornehmen. Für Puristen bietet sich hier das gleiche „Schauspiel“ anderer großer Werke, die nach den Bearbeitungen nach dem Stand der Technik in ihrer vorherigen Ästhetik nicht mehr zugänglich gemacht werden. Coppola selbst sagt in der Einleitung, die FINAL-CUT-Version samt der neuen Restauration entspräche seinem Wunsch (bevorzugte Fassung des Regisseurs) und der Film insgesamt sähe besser aus als je zuvor. Auch darüber lässt sich in einzelnen Einstellungen sicherlich streiten.

Fazit

APOCALYPSE NOW erschien in diesem Jahr 2019 zum 40. Jubiläum des Films erneut. Und wieder kann man sagen: die Zeit spricht einmal mehr für dieses stimmungsvolle Meisterwerk voller eigenartiger Bilder und Töne, die auf dem bedächtig fließenden Strom ins Herz der Finsternis immer wieder an Kraft gewinnen und den Zuschauer ein ums andere Mal mitreißen.

Quellen

[1]    Vgl. Marcus Stiglegger (2019): Der mythische Raum im Film, in: M. Stiglegger / A. Escher (Hrsg.) Mediale Topographien. Beiträge zur Medienkulturgeographie, S. 309-325, hier besonders: S. 317.

© Stefan Jung

Titel, Cast und CrewApocalypse Now - Final Cut (2019)
PosterApocalypse Now (1979)
Releasenur am 15.07.2019 im Kino
ab dem 29.08.2019 auf 4K-UHD, Blu-ray und DVD bzw. im limitierten Steelbook
Bei Amazon bestellen:
RegisseurFrancis Ford Coppola
Trailer
BesetzungMarlon Brando (Colonel Walter E. Kurtz)
Martin Sheen (Captain Benjamin L. Willard)
Robert Duvall (Lieutenant Colonel Bill Kilgore)
Frederic Forrest (Jay 'Chef' Hicks)
Sam Bottoms (Lance B. Johnson)
Laurence Fishburne (Tyrone 'Clean' Miller)
Albert Hall (Chief Phillips)
Harrison Ford (Colonel Lucas)
Dennis Hopper (Photojournalist)
G.D. Spradlin (General R. Corman)
Jerry Ziesmer (Jerry)
Scott Glenn (Lieutenant Richard M. Colby)
RomanvorlageNach dem Roman HERZ DER FINSTERNIS von Joseph Conrad und den Vietnamkriegs-Reportagen AN DIE HÖLLE VERRATEN von Michael Herrs
DrehbuchJohn Milius
Francis Ford Coppola
KameraVittorio Storaro
MusikCarmine Coppola
SchnittLisa Fruchtman
Gerald B. Greenberg
Walter Murch
Richard Marks
Filmlänge183 Minuten
FSKab 16 Jahren

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