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Ant-Man and the Wasp: Quantumania (2023) – Filmkritik

„Quantenstillstand“

Große Verantwortung auf kleinen Schultern: In ANT-MAN (2015) und ANT-MAN AND THE WASP (2018) konnte der Held, für den Größe keine Bedeutung hat, mehr oder weniger sein eigenes Ding durchziehen. Die Welt stand in seinen Soloabenteuern nie auf dem Spiel. Aber dann kamen die Avengers und forderten seine Dienste in der Schlacht gegen Thanos ein. ANT-MAN 3 offiziell ANT-MAN AND THE WASP: QUANTUMANIA hat nicht weniger als die Aufgabe im MCU eine neue Phase (V) in der Multiverse-Saga einzuläuten. Zu jeder großen film- und serienüberspannenden Epoche – die Filmwissenschaftler sprechen von „multilineare Hyperserie“[1] – gehört ein roter Faden, ein Ziel. Im Comicuniversum ist das ein scheinbar unbesiegbarer Superschurke. Seine Kräfte und Mächte sind so enorm, dass sich die Heldinnen und Helden als Team zusammenschließen müssen, um zu gewinnen. Superschurke Kang – die Nerds wissen, dass er bereits in der Webserie LOKI aufgetreten ist – feiert in diesem Comicabenteuer sein Kinoleinwanddebüt. Der erste Eindruck ist wichtig, denn er soll uns für mindestens acht weitere Marvelfilme in die Kinos locken – von den Serien ganz zu schweigen. Der Ameisenmann und seine Wespe sitzen hier auf einer ganz schön großen PR-Rakete, die starten soll. Doch nach dem Countdown geht sehr schnell der Treibstoff aus und die „Hype Rocket“ verlässt nicht einmal ansatzweise die Erdoberfläche.

© Marvel

Handlung

In der Marvel-Welt wurde einiges durcheinandergewürfelt, aber bei der Patchworkfamilie Lang-van-Dyne-Pym läuft das Leben harmonisch. Scott (Paul Rudd) liebt sein Ansehen auf den Straßen San Franciscos und schreibt sogar seine Erlebnisse in einem Buch zusammen, was er in den süßen kleinen Buchläden in der kalifornischen Bay-Area zum Besten gibt. Hope van Dyne (Evangeline Lilly) leitet ein internationales Wissenschaftslabor und wird nicht weniger als das Problem mit der Überbevölkerung lösen. Schrumpfen und Vergrößern spielt hier eine wesentliche Rolle. Dr. Hank Pym (Michael Douglas) bringt die Ameisen ein paar Evolutionsstufen weiter, während er schützend seine Hände über Stiefenkelin Cassie Lang (Kathryn Newton) hält, die wegen Klimaprotesten gern mal den Knast besucht und damit in die Fußstapfen ihres Vaters tritt. Janet Van Dyne (Michelle Pfeiffer) hingegen liebt es wieder bei ihrer Familie zu sein. Von den 30 Jahren in der Quantenebene will sie nicht sprechen, doch dann kommt ein Signal aus dieser subatomaren Welt, das die Familie aus dem heimischen Laborkeller in diese hineinzieht. Hier herrscht The Conqueror (Jonathan Majors), der nicht in diese Welt gehört.

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Potenzial verschenkt

Wie schon in DOCTOR STRANGE IN THE MULTIVERSE OF MADNESS (2022) liegt dank einer Welt voller Paralleluniversen dem kreativen Filmteam eine grenzenlose, weiße Leinwand zu Füßen. Es ist alles möglich: fremde Welten, die weder auf unsere Naturgesetze hören müssen noch an unsere kulturellen Regeln gebunden sind. Wo in DOCTOR STRANGE 2 das Ganze auf einen kreativen Super Cut zusammengedampft wurde, wird diese Option in ANT-MAN AND THE WASP: QUANTUMANIA völlig ignoriert. In den ANT-MAN-Teilen davor war die Quantenebene eine Art diffuses Kaleidoskop, was mehrere Zustände gleichzeitig ist – siehe Gegnerin Ghost im zweiten Teil. Jetzt werden wir jedoch in eine Welt gestoßen, die auf jeden x-beliebigen Planten aus der Science-Fiction-Fabrik (Disney) sein könnte.

Es gibt Rebellen und machtvolle Unterdrücker. Die Rebellen sind bunte Wesen, die auffällig zweibeinig sind und einen extraterrestrischen Kopf aufweisen. Das eine Wesen freut sich über Löcher im Körper und das andere hat eine Supernova-Kanone zwischen den Schultern. Okay, es gibt noch fliegende Riesenrochen, mehrbeinige Transporttiere und bewaffnete Riesenkürbishäuser, aber sonst gibt es keinen kreativ gewagten Neuzugang. Alter Wein in neuen Schläuchen.

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In der Physikwissenschaft reichte die klassische Sichtweise nicht mehr aus und die Quantenphysik öffnete das Tor für unsere heutige Welt, wie zum Beispiel das Verständnis was Licht bedeutet (Halb-Welle, Halb-Teilchen). Die Filmwelt in QUANTUMANIA bedient sich jedoch an verstaubten Merkmalen die schon zig Mal im Science-Fiction-Genre genutzt wurden. In den Anfängen von Star Trek und Star Wars hatten die meisten außerirdischen Wesen zwei Beine, zwei Arme und einen menschlichen Körperbau. Das lag an den einfachen Produktionsverhältnissen. Eine Maske für den Kopf und Markierungen an den Händen eines Statisten reichten aus, um von fremden Welten träumen zu lassen. In einer Filmproduktion, die mittlerweile zu 90 Prozent aus digitalen Erzeugnissen besteht, gibt es solche Barrieren nicht mehr. Aber anscheinend immer noch in den Köpfen der Art Departments bei Marvel. Jedes Gebäude, jeder Schmugglermarkt, jedes Raumschiff und jede Waffe wirkt wie von einer lahmen KI generiert, die zu viel Disney+ gesehen hat. Und das Herauskramen der 1967er-Comicfigur von M.O.D.O.K. beleidigt den Verstand des Publikums, wie auch dessen Sinn für Humor.

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Vielleicht lieber Inhalt?

Wenn die „neue“ Welt visuell abtörnt, helfen gute Schauspieler und ein packendes Drehbuch. Der Cast kann das auf jeden Fall leisten und einen kleinen feinen Auftritt von Bill Murray gibt es on top. Jedoch weigert sich ANT-MAN AND THE WASP: QUANTUMANIA für eine charakterliche Entwicklung und Interaktion der Figuren. Das Einzige, was geschieht, ist dass sich Janet mühsam ihre Vergangenheit aus den Fingern saugen lässt. Es dauert weit über die Hälfte des Films, um zu erfahren, was sich bereits andeutet. Die Rückblicke sind angenehm unaufgeregt und das Spiel zwischen Michelle Pfeiffer und Jonathan Majors lässt einen etappenweise den Kinosessel vergessen, aber richtig auf den Punkt gehen diese Szenen nicht. Kang gibt sich sympathisch verständlich, um dann den erwarteten Verrat zu begehen. Seine Bewegründe sind so offensichtlich konstruiert und nicht nachvollziehbar, „Ich muss alles zerstören, damit am Ende nicht alles zerstört wird“, dass man keinerlei freien Willen hinter der Figur erkennt. Bei Thanos hatte man noch das Gefühl, dass sich hinter seinem Ziel ein paar existenzielle Gedanken verbargen. Kang scheint in seiner Multiversum-Zeitlinien-Welt gefangen. Wenn man alles weiß und alles kann, bleibt nichts als reine Langeweile. Und die zeigt sich übrigens auch in der ideenlosen Konstruktion seiner Kräfte.

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Politik geht auch

Die Quantenwelt besteht aus unterdrückten Individuen, die von einem gesichtslosen Heer zurückgetrieben und Stück für Stück vernichtet werden. Die Star-Wars-Vorlage mit Rebellen und dem Imperium hält auch hier stand. In einer Welt, in der alles möglich ist, gibt es das altbekannte und oft genutzte Problem der Unterdrückung. Der Kolonialismus, durch eine seelenlose Armee ohne Gesicht aber blauem Visier vertreten, versklavt die bunte, freie subatomare Welt. Wenn man von den verschenkten Optionen andere gesellschaftliche Konflikte zu erzählen einmal absieht, kann damit auch eine spannende Geschichte erzählt werden. Die Ant-Man-Familie ist aber nur im Kurzurlaub, schließt keinerlei Freundschaften, setzt sich nicht mit der fremden Kultur auseinander und so wundert es nicht, wenn die Nebendarsteller in der finalen Schlacht die Empathie erzeugen, welche auch die Klonkrieger, ähm Kangs Armee bei uns hervorruft. Die Witze auf Kosten der Fähigkeiten der fremden Charaktere sind allesamt Rohrkrepierer, dass man sich den Witz von Taika Waitits THOR 3 fast zurückwünscht. Aber nur fast, denn das politische Thema Kolonialismus im subatomaren Raum bekommt dezent Gegenwind in Form von Sozialismus-Ameisen. Aber darüber sollte man sich erst nach ANT-MAN AND THE WASP: QUANTUMANIA unterhalten.

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Was bleibt?

Die Optik ist eintönig belanglos. Das ist auch der Lucasfilms-Entwicklung von „The Volume“ zu verdanken. Eine 360-Grad-Bühne, die von 1.300 LED-Bildschirmen umschlossen ist und somit bereits beim Dreh die visuellen Effekte in den Hintergrund projiziert werden (Streamingtipp für die Dokuserie LIGHT & MAGIC). Der Greenscreen ist obsolet geworden. Das lässt die Figuren kaum noch Innenräume aufsuchen oder dreidimensionale Landschaften nutzen, weil alles, was kleiner oder größer als diese StageCraft-Technologie ist, einfach aus dem Drehbuch gestrichen wird. Für neue Naturgesetze reichte es beim Drehbuchautorenteam leider nicht über eine trinkbare Flüssigkeit als Universalübersetzer hinaus und der neue Superschurke verwirrt mit multiplen Absichten, die die erste Hidden Credit Scene unsäglich lächerlich machen. Hier muss ganz dringend noch einmal die Animationsserie RICK & MORTY empfohlen werden. In einer Folge dieser genialen physikalischen Hirngespinst-Serie steckt mehr Raffinesse als in diesem Multi-Millionen-Dollar-Film. Allein schon das Gedankenexperiment von Schrödingers Katze ist in der Netflix-Serie kreativer behandelt.

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Visuell und inhaltlich also kein Neuland, was doch den Antrieb geben könnte, sich auf seine bekannten und liebgewonnen Eigenschaften der ANT-MAN-Filme zu konzentrieren. Das Besondere an diesem Helden ist vor allem, dass er keine Superkräfte besitzt. Scott Lang ist ein diebischer Ingenieur, der dank seines Anzugs Superkräfte hat. Die lassen ihn keine Laserstrahlen schießen oder fliegen, nein, er kann sich lediglich schrumpfen. Danach gab es kleine Upgrades dieser Fähigkeiten, wie das Verkleinern von Objekten – jeder will so einen Hot-Wheels-Fuhrpark oder sein Zuhause mit in den Urlaub nehmen. Dinge können auch vergrößert werden und selbst aus Ant-Man wurde der „Giant-Man“. Das Besondere an ihm und seiner Wespe ist, dass machtgierige Schurken eben nicht auf sie achten. Die Kleinen werden übersehen und das ist ihre Chance zu gewinnen. In ANT-MAN AND THE WASP: QUANTUMANIA wurden all diese schönen Talente vergessen. Ein Giant-Man stampft durch eine Stadt und am Ende muss ein Faustkampf wie in einer schäbigen Bar entscheiden, wer am Ende gewinnt.

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Fazit

ANT-MAN AND THE WASP: QUANTUMANIA ist der perfekte Lehrfilm wie in einer großen, bunten und fremden Welt keinerlei Kreativität zu erkennen ist. Es ist ein weiterer Pflasterstein in der Filmwelt nach dem Motto „Business captures movie culture“. Scott Lang empfiehlt zum Ende, uns keine tiefgreifenden Gedanken über dieses Abenteuer zu machen. Es wird wohl sehr schwerfallen, sich demnächst zu motivieren seinen Hintern wieder von der Couch zu heben, um für einen weiteren Marvelfilm das Kino zu besuchen.

© Christoph Müller

Quellen:

[1] Vignold, Peter. Das Marvel Cinematic Universe. 2017. Schüren. Marburg

 

Titel, Cast und CrewAnt-Man and the Wasp: Quantumania (2023)
Poster
RegiePeyton Reed
ReleaseKinostart: 16.02.2023
Trailer
BesetzungPaul Rudd (Scott Lang / Ant-Man)
Evangeline Lilly (Hope Van Dyne / The Wasp)
Michael Douglas (Dr. Henry „Hank“ Pym)
Michelle Pfeiffer (Janet Van Dyne)
Jonathan Majors (Nathaniel Richards / Kang der Eroberer)
Kathryn Newton (Cassie Lang)
Bill Murray (Lord Krylar)
Katy O’Brian (Jentorra)
William Jackson Harper (Quaz
James Cutler (Xolum)
David Dastmalchian (Veb)
Randall Park (Agent James E. „Jimmy“ Woo)
Corey Stoll (M.O.D.O.K.)
DrehbuchJeff Loveness
KameraBill Pope
MusikChristophe Beck
SchnittAdam Gerstel
Laura Jennings
Filmlänge125 Minuten
FSKAb 12 Jahren

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