Amores Perros (spanisch für „Hundeliebe“ oder „treulose Liebesbeziehungen, die einen runterziehen“)
Mit dieser Überschrift nähern wir uns nicht nur einer stimmigen Übersetzung des spanischen Filmtitels an, sondern dringen schon sehr weit in das zentrale Hauptthema des Films vor. Wir begegnen sehr vielen Hunden und der Liebe ihrer menschlichen Rudelführer zu ihnen. Gleichzeitig erleben wir die Tragik zwischenmenschlicher Liebe, wenn sie für einen der Liebenden nicht wie gewünscht erwidert wird.
Die Handlung
Zwei junge Männer und ein verblutender Hund fliehen in einem Auto vor einem weiteren Wagen, dessen Insassen sie beschießend durch den dichten Verkehr einer Großstadt verfolgen. Diese Verfolgungsjagd endet in einem brutalen Autounfall, der ab jetzt auf faszinierende Weise die Schicksale ganz unterschiedlicher Menschen aus drei Gesellschaftsschichten in Mexico City verbindet. In drei Kapiteln erfahren wir ihre jeweiligen Geschichten.
Da ist zum einen Octavio (Gael Garcia Bernal, später mit MOTORCYCLE DIARIES und MOZART IN THE JUNGLE sehr erfolgreich auch in Hollywood unterwegs) aus der Unterschicht, der den Familienhund Khofi zu einem erfolgreichen Champion in brutalen Hundekämpfen führt. Parallel dazu verliebt er sich, unter den kritischen Augen seiner Mutter (Adriana Barraza, oscarnominiert für BABEL), in Susana (Vanessa Bauche), die Frau seines kriminellen und jähzornigen Bruders Ramiro (Marco Pèrez). Mit ihr will er sich, aus den gewonnen Dogfight Preisgeldern woanders ein besseres Leben aufbauen und plant bereits den Tag ihrer gemeinsamen Flucht.
In einer zweiten Handlung befinden wir uns in der gehobenen Mittelschicht und lernen Fashionmodel Valeria (Goya Toledo) kennen. Sie ist gerade auf dem Höhepunkt ihrer Karriere. Sie hat ebenfalls eine heimliche Affäre mit Daniel (Àlvaro Guerrero), dem verheirateten Verleger eines Boulevard Magazins und Vater zweier Töchter. Um ihr seine Liebe zu beweisen, kauft er ihr und ihrem kleinen Schoßhund Ricci nicht nur ein teures Apartment, dessen Fußböden noch nicht völlig verlegt sind, sondern verlässt auch seine Familie, um mit Valeria zusammenzuziehen. Doch das Glück ihre neuen Liebe wird auf eine harte Probe gestellt, denn nicht nur der Fußboden hat hier seine Löcher.
Auf diesen beiden Handlungslinien taucht zwischendurch immer wieder der durch sämtliche soziale Raster gefallene El Chivo (Emilio Echevarria) auf. Er wird von einer Meute streunender Straßenhunde begleitet und schiebt einen Rollwagen vor sich her. Zwar lebt er in einem verlassenen, abrissreifen Haus, aber sein eigentliches Zuhause sind die Straßen der Stadt. Auf den ersten Blick nur ein Schrottsammler und Hundefreund, ist er auch ein gelegentlicher Auftragskiller, der wie ein unsichtbares Phantom der Gosse auf offener Straße seine Aufträge ausführt.
Erst später erfahren wir seine komplette Geschichte. Auch sie hat mit dem Verlassen einer intakten Familie zu tun. Sein Kapitel bildet quasi das Ende einer übergeordneten Geschichte von Flucht, Neuaufbau, Enttäuschung und Reue, die die Protagonisten der anderen beiden Episoden in ihren Handlungen gerade erleben oder auf die sie unaufhaltsam zusteuern, wie die beiden Unfallautos vom Anfang dieses Films.
Ein Film wie ein Autounfall
Im Jahr 2000 krachte Alejandro González Iñárritu erster Kinofilm wie ein rasender Fluchtwagen ins Sehzentrum seiner Zuschauer. Wie bei einem Autounfall kann man sich auch heute der rohen Erzählkraft dieses Films nur schwer entziehen. Man muss bis zum bitteren Ende hinschauen. In roh vibrierenden, aus der Hand geschossenen Bildern von Kameramann Rodrigo Prieto (auch mittlerweile eine feste Größe in Hollywood, oscarnominiert für Martin Scorceses SILENCE) werden wir in eine brutale, archaische Welt gestoßen. In ihr zerfleischen nicht nur Kampfhunde in Hinterhöfen eines brodelnden Großstadtdschungels das Fleisch ihrer Gegner, sondern im Besonderen Menschen die Gefühle derjenigen die sie zu lieben scheinen. Wie in einem vor Blut triefenden Schlachthof zerhackt Iñárritu, in hoher Schnittfrequenz, seine komplexe Ensemblegeschichte in grobe Einzeleinstellungen und lässt uns kaum zu Atem kommen.
Die Musik
Begleitet von einem röhrend vibrierenden Gittarenscore vom argentinischen Saitenkünstler und Filmkomponisten Gustavo Santaolalla, werden wir in diesen Mikrokosmos aus Verlangen, Schuld und Reue gesogen.
An dieser Stelle sei mir ein kurzer Einschub zum Komponisten und seiner grob poetischen Filmmusik gestattet. Auch wenn er, nicht nur aus meiner Sicht, mindestens einen Oscar (für BABEL) zu viel verliehen bekommen hat, ist er dennoch ein großartiger Musiker mit einem unverkennbaren Stil, der gerade in Amores Perros seine flirrende Kraft entfaltet. Ähnlich einem Ry Cooder (PARIS, TEXAS), der kurzzeitig die Filmwelt mit seinem ganz eigenen Gitarrensound um eine besondere Stimme bereichert hat, findet Santaolallas Klangfarbe und minimalistische Instrumentierung seiner Scores einen ganz eigenen Ton in seinen Filmen. Zusammen mit einer sehr stimmigen Songauswahl ergibt seine Komposition in diesem Film einen mitreißenden Soundtrack.
Die Geschichte
Dem Drehbuch von Autor Guillermo Arriaga (u.a. Oscarnominierungen für BABEL und 21 GRAMS, sowie dem grandiosen THREE BURIALS) gelingt trotz seiner nah an der Effekthascherei entlangschlitternden Erzählweise ein in sich weitestgehend stimmiger Handlungsbogen. Dieser entfaltet erst in der Rückschau seine zutiefst humanistische, ja fast schon christliche Botschaft: nur wer spontane Leidenschaft überwindet und sich loyal seiner bisherigen Familie zuwendet, oder gar eine neue, losgelöst vom Makel des Betrugs, schaffen will, findet inneren Frieden. Das mag dem ein oder anderen ein wenig zu katholisch und missionarisch daherkommen, ist aber vom Ansatz her legitim und niemandem vorzuwerfen. Mexiko ist ein zutiefst gläubiges Land und doch gerade durch seine gesellschaftlichen Abgründe immer wieder ganz unmittelbaren, menschlichen Überlebensinstinkten ausgeliefert.
Iñárritu und Arriaga sehen im menschlichen Begehren unmittelbarer Verlockungen, seien es Geld, Frauen, oder politische Ideale, eine Gefahr, in der sich Menschen, besonders Männer, verlieren können. Nur wer sich diesem Verlangen entzieht und Verantwortung für seine Handlungen übernimmt, habe eine Chance auf Erlösung verdient. Dies könnte eine Botschaft dieser bewusst sprunghaften Geschichte sein. Dadurch dass drei unterschiedliche Geschichten erzählt werden, die sich in der Schnittstelle des Autounfalls kurz überschneiden, gehen wir immer wieder in der Zeit zurück und erleben manche Szenen mehrmals, aber aus neuen Blickwinkeln. Doch erst mit der dritten Geschichte lösen einige bis dato für sich stehende Bilder ihr Geheimnis auf.
Die Inszenierung
Iñárritu zeigt hier in Ansätzen zum ersten Mal einem Weltpublikum seinen fast schon manieristischen Hang einen Film durch seine handwerkliche Meisterschaft größer aussehen zu lassen als er in seiner Gesamtheit wirklich ist. Gerade in seinen letzten beiden Hollywood Filmen (BIRDMAN und THE REVENANT) für die er jeweils, in zwei aufeinander folgenden Jahren, mit dem Regie-Oscar ausgezeichnet wurde, überdeckt sein Stil die oft einfache bis kaum vorhandene Allgemeingültigkeit ihrer Geschichten. Seine gerade in diesen beiden Filmen oft atemberaubende Kunstfertigkeit die Handlung in endlosen Plansequenzen (BIRDMAN sogar in nur einer einzigen) zu erzählen, kommt in AMORES PERROS bis auf eine kleine Ausnahme nicht zum Einsatz. Hier (zer)schneidet er noch (zu) viele Momente in fast klassische Einstellungsgrößen, wobei er dies mit der sich ständig bewegenden Handkamera zu überspielen weiß. Doch wie er die alltäglichen Begebenheiten in authentischen Bildern einfängt, bzw. sie so inszeniert als seien sie absolut real, hat eine große neorealistische Qualität. Egal wie unglaubwürdig die ein oder andere Situation bei näherer Betrachtung wirken mag, man glaubt sie dennoch, weil sie vollkommen wahrhaftig für die Kamera umgesetzt wurde.
Die Figuren
Alle Darsteller agieren auf allerhöchstem Filmschauspielniveau. Jede noch so kleine Nebenfigur atmet echtes Leben durch die Leinwand aus.
Und doch schwankt die Qualität bei den einzelnen Geschichten. Während die Hundekampf- und „Mann begehrt die Frau seines Bruders“ Episode noch durch ihre bis dato kaum erlebte Grobheit ihres realistischen Settings besticht, verliert der Film in der „Mittelschicht Liebesgeschichte“ zwischen Model und betrügendem Familienvater ein wenig an Zugkraft. Zwar ist sie im Vergleich zu vielen reinen Beziehungsdramen aus Hollywood immer noch kraftvoll und bildhaft erzählt, dennoch kann sie die einmal aufgenommene Fahrt ihrer Vorgängergeschichte nicht halten. Die beiden Liebenden und (leider) besonders die Frau nerven fast in vielen Momenten ob Ihres naiven und oft unsympathischen Verhaltens mehr als dass sie berühren. Das Schicksal eines sehr einfältigen, ja fast bösartig inszenierten, weiblichen Models lässt einen fast ein wenig zu kalt zurück. Ihre Fixierung auf äußerliche Schönheit und die fast krankhafte Fixierung auf ihren Schoßhund, lässt insgesamt wenig Raum für Mitgefühl.
Überhaupt kommen die Frauen in diesem Film nicht wirklich gut weg. Da ist eine hilflose Mutter, die mehr Verständnis für den „falschen“ Sohn zu haben scheint. Eine andere Mutter vernachlässigt wegen ihres Alkoholismus ihr Enkelkind. Und schließlich eine opportunistische Geliebte. Sie versucht dem Widerspruch zwischen Darwinismus und christlichem Weltbild zu entkommen, indem sie sich dem einen ergibt, das andere aber zu ihrem Vorteil nutzt. Klug, um sich in einer archaischen Welt ihren Platz zu sichern, verabscheuungswürdig aus Sicht eines Mannes, da sie mit ihrem Verhalten über den Zusammenbruch ihres früheren Geliebten hinwegschreitet.
Fazit
Iñárritu interessiert sich in seinem seinerzeit für den Auslands-Oscar-Nominierten-Film mehr für die Würde seiner Männerfiguren. Für ihn scheinen sie mehr Opfer zu sein, da sie den Widerspruch zwischen Abenteurer und Familienverantwortung nur schwer vereinen können. Da bekommt die Liebe zu ihren Hunden eine fast schon heilige Märtyrernote. Nicht umsonst ist die Figur des Chievo, mit seinen verfilzten Haaren, seinen über die Jahre verwachsenen Finger- und Fußnägeln eine Art „Saulus zurück auf dem Weg zum Paulus“ Note. Mit der von Emilio Echevarria bis in die allerkleinste Geste würdevoll gespielten Figur, zeigt sich in der Gesamtheit des Films der interessanteste Charakter leider viel zu selten. So bleibt am Ende ein etwas unbefriedigender, schaler Beigeschmack einen nicht ganz runden Film gesehen zu haben. Schal, weil man sich ob seiner Bildgewalt schon zu einem Meisterwerk verführt fühlte.
Die Blu-ray
Die Veröffentlichung von ARTHAUS kommt mit einem sehr guten Bild daher. Trotz Grobkörnigkeit immer scharf und in seiner ursprünglichen Farbgebung erscheinend, gibt sie einen hervorragenden Filmeindruck wieder.
Ergänzt durch ein paar Deleted Scenes und einem kurzen Making-Of (alle in VHS Qualität) ergibt sich so ein doch ziemlich guter Gesamteindruck der Intention des Regisseurs. Leider fehlt eine Betrachtung der Macher aus heutiger Sicht. Auch würde die Meinung anderer Filmschaffender auf dieses sehr richtungsweisende Werk aus Mexiko den ein oder anderen interessieren. Liegen doch in diesem Film, noch vor Y TU MAMÀ TAMBIÈN (2001) von Alfonso Cuaron die Ursprünge der aktuellen Allmacht der Drei Amigos (Iñárritu, Cuaron und Guillermo del Toro) aus Mexiko in Hollywood. Gerade aktuell wieder zu sehen in der filmischen Schönheit von Cuarons ROMA, der wohl in einer Woche die nächsten Oscars für Mexiko regnen lassen wird. Ohne AMORES PERROS wäre dies wahrscheinlich anders gekommen.
Wer diesen Film noch nicht kennt, sollte ihn sich ansehen, wer ihn schon lange nicht mehr gesehen hat, oder ihn in sehr guter Bildqualität noch einmal sehen will, sollte hier unbedingt zugreifen.
Winnetou, Erol Flynn und Harold Lloyd sind die Helden seiner Kindheit / Weint leidenschaftlich bei E.T. / Will seit er 10 ist, Filmregisseur werden / Liebt komplexe Filmmusik und hält überhaupt nichts von kommerziellen Soundtracks mit Popsongs, die im Film gar nicht vorkommen / Würde gerne mit Agent Cooper im Double R Diner einen Kaffee-Marathon bestreiten / Das beste Auto der Welt: ein DeLoreon natürlich