Steven Seagal
Wer die realen Begebenheiten um (Ex-)Actionstar Steven Seagal verfolgte, dem konnte durchaus die Lust am Schauen seiner Filme vergehen. Bekanntlich hegt Seagal Verbindungen zur russischen Waffen-Lobby, besitzt drei Staatsbürgerschaften, deren Zweck man gar nicht genau wissen möchte, führt seit Jahrzehnten kaum noch einen Stunt selbst aus, außer dass er sich von der sitzenden in die stehende Position begibt – und war eigentlich noch nie ein guter Schauspieler. Seinen 7. Dan (Ehrentitel des Meisters) hat er bereits unter Beweis gestellt. Seagal, der von 1973 bis 1988 in Japan lebte und lehrte, beherrscht(e) die Kampfkunst des Aikidō perfekt, jener bewusst passiven Choreografie einheitlicher Bewegung, mit der man den Gegner unter Berücksichtigung dessen eigener Dynamik überwindet.
1988 ging es bei Steven Seagal los mit der internationalen Schauspielkarriere: NICO (ABOVE THE LAW), DEADLY REVENGE – DAS BROOKLY MASSAKER (OUT FOR JUSTICE, 1991) und dann natürlich ALARMSTUFE ROT (UNDER SIEGE, 1992), der ihn international zum Actionstar machte und viele lukrative Rollen über die Neunziger hinweg bescherte. AUF BRENNENDEM EIS (ON DEADLY GROUND, 1994) kann man da noch nennen, Seagals Regiedebüt, für den er sogar Michael Caine in einer wichtigen Nebenrolle verpflichten konnte – man munkelt noch heute, Caine hätte sich bewusst die Haare dunkel färben lassen, um nicht so schnell erkannt zu werden bzw. nur spärlich mit diesem Film in Verbindung gebracht zu werden. Sorry, Sir Michael!
Öko-Actionthriller oder solche mit harter Selbstjustiz ließen Seagal, den one face actor, zur Ikone des Video-Zeitalters werden. Wenn ich früher häufig durch Videotheken schlenderte, gab es da fast überall ein eigenes Regal mit seinen Filmen. Es existieren ein paar wirklich gut gemachte Titel der Marke Seagal, die solide bis grandiose Action mit passabler Stimmung präsentieren. Einigen Unfug gibt es leider auch. ALARMSTUFE ROT 2 (UNDER SIEGE 2: DARK TERRITORY) – aktuell auf Blu-ray von Studio Hamburg verfügbar und ungekürzt FSK ab 18 freigegeben – bewegt sich recht unterhaltsam zwischen diesen beiden Gebieten. Kein wirklich überragender Film, ist er immer noch zu gut, um wirklich schlecht zu sein. Er hat Momente, wo man sich wahrlich an den Kopf greift, aber auch solche, die wie die Faust aufs Auge passen und gerade in Sachen Action bestens unterhalten.
Hochbudgetierte B-Movie-Action
ALARMSTUFE ROT 2 ist für Actionfans tatsächlich ein Muss. Ohne großen Umweg katapultiert der Streifen seine Figuren und uns Zuschauer auf einen Luxus-Personenzug und fährt alle Möglichkeiten von Stunts und Pyrotechnik auf, die Mitte der Neunziger so machbar waren. Das Drehbuch ist dünn, doch zahlreiche dynamische Actioneinlagen führen zu einer an Rasanz stets zunehmenden zweiten Hälfte bis hin zum furiosen, tricktechnisch überwältigenden Finale. Die Kamera von Robbie Greenberg, vor allem jedoch die effektvolle Montage von Cutter Michael Tronick (NUR 48 STUNDEN, PREDATOR, TRUE ROMANCE) bringen reges Leben in die Filmsprache von ALARMSTUFE ROT 2. Warum der Film damals zumeist über mehr als zwei Minuten zensiert war (reine Gewaltschnitte), ist mittlerweile zweitrangig, doch wenn man die unzensierte Fassung samt all seiner filmischen Tode sieht, hat dieser Film sein Siegel wahrlich verdient. 20 Jahre lang war er auf dem Index für jugendgefährdende Medien.
Das witzigste an ALARMSTUFE ROT 2 ist, dass sich der Film so verdammt ernst nimmt. Auf prisma.de ist hierzu passend zu lesen:
„Steven Seagal glänzt wieder durch erfrischende Humorlosigkeit. Dank der bravourösen Umsetzung kommt der Action-Fan aber voll auf seine Kosten.“
Ich mag selten augenzwinkernde, ach-so-lustige Selbstironie im Actionkino. Die Pyrotechnik muss mein Trommelfell beanspruchen, die Explosionen meine Augen blenden, die Schüsse, Stiche und Schläge müssen mich als Zuschauer direkt adressieren, mir irgendwie weh tun. Den Filmen mit Steven Seagal kann man sicherlich schwache Dramaturgie vorwerfen, an energetischer, unbarmherziger Action mangelt es so manchen nicht. ALARMSTUFE ROT 2 verlagert nun sehr effektiv das bekannte Stirb langsam-Muster auf die Gleise. Das heißt aber nicht, dass er zu den besten „Zugfilmen“ jener Jahre zählen würde. Diese Plätze gebühren solchen lange Zeit verkannten Meisterwerken wie Andrei Konchalovskys EXPRESS IN DIE HÖLLE (RUNAWAY TRAIN, 1985) oder dem kühlen Neo-Noir NARROW MARGIN (1990) von Peter Hyams und mit Gene Hackman.
Der gewählte Ernst bei ALARMSTUFE ROT 2 macht dann wiederum großen Spaß inmitten der schnell durchschaubaren Story. Ach so, die da wäre: Ex-Navy Seal Casey Ryback (Seagal) begleitet seine Nichte (Katherine Heigl) auf dem Grand Continental quer durch einen US-Bundesstaat. Terroristen kapern den Zug und ein junger mad scientist des Computerzeitalters spielt Laserstrahlen-von-einem-Satellit-auf-die-Erde-jagen und vernichtet dabei halbe Städte. Das ganze Paket ist absurd unterhaltsam, doch die strenge Fratze Seagals darin ist unübertroffen. In jedem Moment, so scheint es, versucht der Darsteller dem Zuschauer die grundlegende Bedeutung des Lebens zu vermitteln – stoisch, fokussiert, manchmal schon meditativ. Meine Lieblingsszene zwischen all dem gewaltigen Chaos ist der Moment, wo Ryback – bekannt als „der Koch“ – einen jung-flippigen Servicemitarbeiter nach erkanntem Notstand zur Räson bittet: „Don’t make me raise my voice, young man.“ Just brachten ein paar fiese Terroristen den voll besetzten Zug in ihre Gewalt und ein noch fieserer Druckwellensatellit im Orbit richtet bereits ordentlich Verwüstung auf der Erdoberfläche an. Überall kracht und brennt es. Aber so viel Zeit muss dann schon noch sein, um für Mäßigung zu sorgen.
Dramaturgie und Schauspiel sind durchweg zweitklassig, doch die Spezialeffekte und die Action im Rahmen der bewährten Seagal-Rezeptur ist spektakulär. ALARMSTUFE ROT 2 wirkt wie ein verlorener Nachläufer des Achtzigerjahre-Actionkinos. Die Bösen – natürlich fängt einer irgendwann auch an, kurz Deutsch zu sprechen – sind noch so richtig durchtrieben, grell, mit Hang zum Grotesken und der Gesamtton bleibt düster, trotz einiger Auflockerungsversuche am Rande und entlang der Figur der noch nicht vollreifen jungen Dame. Besonders eindrucksvoll bleibt zuletzt der symphonisch-pompöse Score von Basil Poledouris (ROBOCOP, STARSHIP TROOPERS), der die „Feierlichkeit“ des Actionszenarios manifestiert.
Der kürzlich verstorbene neuseeländische Regisseur Geoff Murphy (QUIET EARTH – DAS LETZTE EXPERIMENT, 1985) wurde aufgrund seines Hangs zur Öko-Materie zu diesem groß angelegten Hollywoodfilm hinzugezogen. Sein Stil scheint in Momenten durch, so wie Sonnenstrahlen zwischen Schauerwolken: kurz und auffallend, doch bald vergessen. Murphy selbst war auch als Second Unit Director fleißig, etwa bei DANTE’S PEAK (1997) oder bei DER HERR DER RINGE-Trilogie seines Landsmanns Peter Jackson.
Die Blu-ray von Studio Hamburg
… ist eine barebone-Disc. Das sind die Schreiben, wo außer dem Hauptfilm nichts drauf ist, außer der in selbstbewussten Versalien formatierten Arial-Schrift im Menübild sowie dem Trailer. Für den an der Originalversion interessierten Zuschauer werden statt optionalen deutschen Untertiteln französische und italienische geboten. Immerhin ist das Bild (HD-Master von Warner) für eine Single-Layer-BD recht knackig und auch der englische Originalton (in 2.0 und 5.1) geht in Ordnung. Im Deutschen klingt die Stimme von Steven Seagal immer völlig anders, tiefer – durch einen auch in dieser Veröffentlichung nicht behobenen Tonhöhenfehler (Speed-up-Problem) klingen die deutschen Töne (ebenfalls 2.0 und 5.1) immer noch zu hoch. Schade.
Fazit
Für Actionfans ein Muss und gerade in der ungekürzten Originalversion ein wahrlich unterhaltsamer Krawall-Garant, kommt ALARMSTUFE ROT 2 nun erstmals in HD auf den deutschen Markt – in Österreich gab es zuvor bereits ein Mediabook von HOANZL. Doch hat man hierzulande diesem durchaus ansehnlichen Kracher kein weiterführend würdiges Release verschafft. Das Steelbook mit Teil 1+2 im Bundle war was für Fans, doch diese Veröffentlichung läuft Gefahr, auf Dauer in der Ramschkiste zu landen. Alles in allem bleibt dieser Film eine durchaus sehenswerte Zäsur, die Steven Seagals furioses Frühwerk von den arg vielen Luftnummern der Folgejahre trennt.
Liebt Filme und die Bücher dazu / Liest, erzählt und schreibt gern / Schaltet oft sein Handy aus, nicht nur im Kino / Träumt vom neuen Wohnzimmer / Und davon, mal am Meer zu wohnen