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Ach Du Scheiße! (2022) – Filmkritik

„Deutschland als Dixi Klo“

Genre braucht Tradition. Das ist ein Satz, mit dem Filmwissenschaftler:innen zu Anfang ihrer Aufsätze gerne um sich werfen, denen man nach Lektüre jener zustimmen kann oder nicht. Das Deutschland keine ernstzunehmende Genretradition hat, dass muss man eigentlich nicht beweisen. Christian Alexius und Sarah Beicht diagnostizieren dem deutschen Publikum in der Einleitung ihres Sammelbandes FANTASTISCHES IN DUNKLEN SÄLEN eine tief im deutschen Selbstverständnis verhaftete „strikte Trennung zwischen einer angeblich anspruchsvollen Kunst und Kultur, die den Menschen zu Größerem und Besserem beflügelt, und der trivialen, irrelevanten, niederen Gelüsten dienenden Unterhaltungsware“. Danke Adorno, an dieser Stelle.

©Daniel Dornhoefer

Aber ist nicht das Genrekino häufig der Ort, in dem unmittelbar, mal mehr oder weniger verklausuliert, die Ängste einer temporär gegeben Generation auf die Leinwand gebannt werden können, subsumiert als kettensägenschwingende Mörder, vom Teufel besessener kleiner Mädchen und behockeymasketer Hünen? Was sagt es über ein Land aus, dass sich diesen „metaphorischen Träumen, Ängsten und Visionen“ zumindest in inländischen Produktionen nicht ausliefern möchte? Dies ist nicht die Geschichte dieses Landes. Es ist die Geschichte eines kleinen Außenseiterfilmes, der sich, vielleicht schon die Rezeption der gemeinen Zuschauerschaft erahnend, ACH DU SCHEISSE! nennt und das deutsche Genrekino wieder träumen lässt.

Das Dixi Klo. Das findet man auf Baustellen, man denkt bei ihnen an den Fortschritt (aber auch an den Stilstand, wenn man sich ins Gedächtnis ruft, wie lange deutsche Bauvorhaben, vor allem in Innenstädten, gerne vor sich hinweilen). Man denkt an den Exzess und den Hedonismus, wenn sie verlässlich überfüllt und fast schon unbenutzbar den Festivalgänger:innen der Nation eine Zuflucht bieten. Und man denkt an den Ekel, personalisiert durch die radikalen Feingeister von JACKASS.

Ach Du Scheisse! (2022)
©Daniel Dornhoefer

Für Frank Lamm (Thomas Niehaus) ist das Dixo Klo zum Gefängnis geworden. Als Architekt eines meganomalistisches Bauprojektes, dass das augenscheinlich arg beschauliche Blaßstädten dank asiatischem Investorengeld in die Höhen einer Weltstadt katapultieren soll, stand heute die Grundsteinlegung inklusive symbolträchtiger Sprengung eines alten Stadtwahrzeichens an. Blöd nur, wenn man sich jetzt auf exakt jener Baustelle – eingesperrt – wiederfindet und in 30 Minuten dem Erdboden gleichgemacht wird. Horst Wolff (Gedeon Burkhard), Franks Auftraggeber und schmieriger Bürgermeisteranwärter, ist da keine Hilfe. Franks einzige Möglichkeit: Mit Kreativität und Kombinationsgabe einen Ausweg aus der misslichen Lage suchen. Auf Kosten sämtlicher Alltagsgegenstände und Körperteile, die notwendig sind. Und dann muss man nebenbei auch noch die kriselnde Beziehung zu Freundin Marie (Olga von Luckwald) retten und eine bis in die höchsten Kreise Blaßstädtens reichende Verschwörung aufdecken. Alles auf den paar Quadratmetern, die so ein Dixi eben bietet.

Ach Du Scheisse! (2022)
©Daniel Dornhoefer

Regisseur Lukas Rinker machte erstmals mit seinem launigen Short LASERPOPE (2016) auf sich aufmerksam. Die Liebe zum Genre und zum genussvollen Zerstören ist er sich auch in seinem Langfilmdebüt treu geblieben. In der Tradition vor allem des 90er Debütfilms machen Rinker und seine Crew sich die beengte Welt des Dixi Klos zu eigen und lassen auf den paar Quadratmetern eine funktionierende und abwechslungsreiche Welt entstehen. Tief wird in die Inszenierungstrickkiste gegriffen und der eigentlich überschaubare Schauplatz wird durch den Einsatz kreativer Kamerawinkel, Makroobjektive und einer dynamischen Lichtsetzung, die wohl nicht von ungefähr in der Tradition der Primärfarbenlehre von Argentos besten Stoffen steht, zum abwechslungsreichen, gleichsam diffus-surrealen wie beklemmenden Spielort. Seine Ästhetik des Escape-Room-Thrillers weiß ACH DU SCHEISSE! dabei immer wieder geschickt neu anzuordnen und transformiert in seinen finalen 30 Minuten zum reinrassigen (Fun)Splatterfilm. Hierbei haben wir es nicht nur mit einer effekthaschenden Spielerei zu tun, denn so wie das Splattergenre ja auch immer ein Genre der Öffnung ist, öffnet sich auch der Schauplatz des Films in seinem Finale. Rinker gelingt die Kunstwanderung, dem in den ersten zwei Dritteln seines Films mit anteilnehmender, somatischer Reaktion konnotierten Schmerz schließlich in eine Ebene der Unterhaltung zu dekontextualisieren, indem die vorher im Close-Up stattgefundene Verletzung plötzlich in der Weite ins künstliche dekontextualisiert wird.

Ach Du Scheisse! (2022)
©Daniel Dornhoefer

Und sicher ist es auch irgendwo die Genugtuung, die die Zuschauer:innen empfinden, wenn in ACH DU SCHEISSE! eine allzu reale Bedrohung, die Bedrohung einer korrupten Politik, die bereit ist, für das Erreichen der eigenen Ziele (in diesem Falle) buchstäblich über Leichen zu gehen, mit den Mitteln des Genrefilms kathartisch besiegt werden kann. Rinker selber räumte ein, keinen politischen Film gedreht haben zu wollen, doch die über die Lautsprecher dröhnenden, zunehmenden abstruser und verzweifelter werdenden Reden und Versprechungen Wolffs an die Bevölkerung evozieren mehr als einmal Erinnerungen an Robert Nashvilles schöne Amerika Synekdoche NASHVILLE. Und das Bild dazu, der leittragende Bürger, also Frank Lamm, eingesperrt in der buchstäblichen Scheiße, der die in einem gänzlich anderen Raum befindlichen politischen Versprechen zwar hört, ihm aber keinen Ausweg bieten, ist nicht unclever gewählt.

©Daniel Dornhoefer

Noch viel mehr als eine politische Lesart bietet sich aber eine Filmindustrie-kommentierende Lesart von ACH DU SCHEISSE! an. In dieser wäre Frank Lamm dann also der Regisseur, der sich in einem durch die bürokratischen Unwirren der deutschen Filmförderungen geschaffenen Gefängnis befindet (Dixi Klo) und einen Ausbruch aus dieser wagen muss, um sein Projekt verwirklichen zu können. Vielleicht ist ACH DU SCHEISSE! damit einer der schönsten Oden ans Filmemachen überhaupt geworden.

©Daniel Dornhoefer

Dass ACH DU SCHEISSE! gelingt, liegt freilich nicht nur an seiner kompetenten und sujetdienlichen Inszenierung und an seinen über sich selbst hinausweisenden Momenten, das Herz des Filmes ist sein Hauptdarsteller Thomas Niehaus, der immerhin die Last auf seinen Schultern trägt, etwa 70 der 90 Filmminuten alleine tragen zu müssen. Der theatergeschulte Niehaus schafft es mit Leichtigkeit, allein ob seiner Mimik und Stimme in der Enge des Dixi Klos seiner Figur eine Lebendigkeit zu geben, die manch andere Stoffe in zwei Stunden nicht erreichen. Gedeon Burkhard konterkariert indes mit Genuss und Spielfreude sein 90er Jahre Image als Sunnyboy der Neuen Deutschen Komödie, Olga von Luckwald weiß trotz ihrer wenigen Leinwandminuten zu bezaubern und der ein oder andere unerwartete Gastauftritt runden das Escape-Room-Splatter-Spektakel unterhaltsam ab. Und die vielen kleinen Momente, in denen es Rinker gelingt, die deutsche Spießigkeit punktgenau zu sezieren, sei es durch den Einsatz eines Nackedei-Kalenders oder der leitmotivischen Nutzung eines eigentlich zu Tode gespielten NDW-Hits.

Wir verkneifen uns an dieser Stelle Spielereien mit dem Titel und lassen schlicht verlauten: Wer mit dafür sorgen möchte, dass vielleicht doch noch so etwas wie eine deutsche Genretradition entsteht, der sollte diesen im allerbesten Sinne kleinen, aber feinen Film unterstützen. Auch wenn man danach nie wieder unbefangen auf ein Dixi Klo wird blicken können.

© Fynn

Titel, Cast und CrewAch du Scheisse! (2022)
Poster
RegieLukas Rinker
ReleaseKinostart: 20.10.2022
Trailer
BesetzungThomas Niehaus (Frank Lamm)
Gedeon Burkhard (Horst)
Olga von Lickwald (Marie)
Rodney Charles (Bob)
Friederike Kempter (Dörte Grün)
DrehbuchLukas Rinker
KameraKnut Adass
MusikAndreas Lucas
SchnittBastian Ahrens
Filmlänge90 Minuten
FSKAb 16 Jahren

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