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A Haunting in Venice (2023) – Filmkritik

„Geistergeschichten”

Wenn Wissen als Erklärung nicht mehr ausreicht, betreten wir schnell die Welt des Phantastischen, Religiösen und Paranormalen. An dieser scharfen Grenze erzählt A HAUNTING IN VENICE seine Geschichte und mit ihr bewegt sich der berühmte Meisterdetektiv Hercule Poirot auf dem schmalen Grat zwischen Wissen und Aberglaube. Figuren, die ihrem messerscharfen Verstand vertrauen und darauf ihre Persönlichkeit begründen, sind mit unerklärlichen Phänomenen bekanntlich nicht so schnell aus der Fassung zu bringen, aber wenn immer wieder neues Unerklärliches hinzukommt, kann es schnell existenziell werden. Regisseur und Hauptdarsteller Kenneth Branagh überführte als Poirot bereits Mörder in einem europäischen Luxuszug (MORD IM ORIENT-EXPRESS, 2017) und auf einer Kreuzfahrt über den Nil (DER TOD AUF DEM NIL, 2022). In A HAUNTING IN VENICE bewegt er sich wieder in den Sphären der Wohlhabenden, jedoch dieses Mal an einem festen Ort: während einer stürmischen Nacht im Venedig der 1940er Jahre. Auf Basis der Geschichte „Die Schneewittchen-Party“ („Hallowe’en Party“) von Agatha Christie, erzählt der Spielfilm nicht nur vom spirituellen Aberglaube, sondern führt auch seine Hauptfigur an den Rand des Verstandes.

© 2023 20th Century Studios. All Rights Reserved.

Handlung

Hercule Poirot (Kenneth Branagh) hat den Glauben an das Gute im Menschen verloren. Nach dutzenden Mordfällen sucht er die Einsamkeit in Venedig. Sein Leibwächter Vitale Portfoglio (Riccardo Scamarcio) hält ihm neue Fälle vom Leibe. Als ihn eine alte Freundin, die Schriftstellerin Ariane Oliver (Tina Fey) besucht, gelingt es ihr, ihn aus seinem Schneckenhaus zu locken. Sie gehen auf keine normale Halloweenparty. Es ist eine Séance mit dem berühmten Medium Joyce Reynolds (Michelle Yeoh). Gastgeberin ist die Opernsängerin Rowena Drake (Kelly Reilly), die mit ihrer verstorbenen Tochter sprechen möchte. Zusätzlich liegt auf dem Haus der Drakes ein Fluch von verstorbenen Waisenkindern. Zur Beschwörungszeremonie kommen jedoch mehr Gäste als erwartet, neben Dr. Leslie Ferrier (Jamie Dornan) und seinem Sohn Leopold (Jude Hill), taucht auch der ehemalige Verlobte Maxime Gerard (Kyle Allen) auf. Den Kontakt zum Jenseits vollführt Joyce mit dramatischer Darbietung, die Poirot schnell als Betrug durchschaut. Doch dann fordert ein Mord den Meisterdetektiv doch noch heraus. Das Haus bleibt mit allen Gästen so lange verschlossen, bis der Fall gelöst und der Mörder überführt ist. Doch es wird nicht der letzte Mord bleiben und draußen tobt ein Unwetter, das das Fundament des Gebäudes zum Stöhnen bringt.

© 2023 20th Century Studios. All Rights Reserved.

Übernatürliche Stimmung

Wenn man an die vorherigen Kriminalabenteuer von Branagh denkt, sieht man auffällige, luxuriöse Kulissen. Auch bei den Reichen und Schönen können Mörder ihr Unwesen treiben. Neben der paranormalen Thematik setzt sich A HAUNTING IN VENICE vor allem durch seine Bilder von den vorherigen Filmen ab. Kameramann Haris Zambarloukos filmt aus engen und schrägen Winkeln. Das starke Weitwinkelobjektiv verzerrt die Symmetrien und erzeugt bereits bei den Szenen am Tage eine klaustrophobische Atmosphäre. Zusätzlich wird die Wahrnehmung des Publikums und die der Hauptfigur auf die Probe gestellt. Ist das ein Schatten oder doch ein Geist? Wo kommt diese Kinderstimme her?

© 2023 20th Century Studios. All Rights Reserved.

Zu Beginn der künstlichen Séance wird noch mit groben Schnitten und hyperdramatischen Momenten erzählt. Bei der Zeremonie kommt kein Glas zur Anwendung, das über Buchstaben geschoben wird, sondern eine Schreibmaschine hämmert Hinweise auf ein weißes Blatt Papier. Wenn danach jedoch der Mordfall untersucht wird, pegelt sich der Grusel auf ein unterschwelliges Level ein, der jedoch im Zusammenhang von Hinweisen und Motiven noch intensiver wahrgenommen wird. Das zusammen macht A HAUNTING IN VENICE zum aktuell spannendsten Teil der Detektiv-Reihe. Zusätzlich ist die Szenerie erdig und düster. Das Geschehen wirkt realistischer und das Cello von Oscar-Gewinnerin Hildur Guðnadóttir treibt nicht nur Poirot vor sich her, der immer mehr an seinem Verstand zweifelt, sondern auch das Publikum an den Rand der Sitzgelegenheit.

© 2023 20th Century Studios. All Rights Reserved.

Wer war es?

Das Aufregendste beim WHODUNIT-Genre ist natürlich die Auflösung. Wie wurde der Mord durchgeführt und was ist das Motiv? Bis dahin kann es schnell ein langer und vor allem langweiliger Weg sein. A HAUNTING IN VENICE unterhält seine Zuschauerinnen und Zuschauer aber mit kleinen Geschichten. Das Ensemble der Verdächtigen könnte nicht verschiedener sein und reicht von der Haushälterin bis zum kleinen Jungen mit einer Schwäche für Edgar-Allan-Poe-Literatur. Fans des Genres werden schnell wissen, aus welcher Richtung der verbrecherische Geruch weht, jedoch fügen sich verschiedenste Motive zum Ereignis dieser Nacht zusammen und nicht nur Mordabsichten.

© 2023 20th Century Studios. All Rights Reserved.

Thematisch verarbeitet das Drehbuch in Ansätzen die Nachkriegszeit des Zweiten Weltkriegs. Traumata auf Seiten der Veteranen, wie auch Frauen, die auf dem Feld als Sanitäterinnen geholfen und Grausames gesehen haben. So ist nicht nur die Hauptfigur von der Brutalität der Menschheit eingeschüchtert, es ist jeder, der diesen Krieg miterlebte. Ein zweiter Aspekt ist die Reibung aus Wissen und Aberglaube, die durch den in seiner Wahrnehmung beeinflussten Poirot geradezu elektrisierend wirkt. Sein Geist ist das Wichtigste, auf das er sich verlassen kann. Was ist jedoch, wenn ihn seine Sinne täuschen oder tun sie es gar nicht? Die zeitliche Verortung im Nachkriegseuropa und der beeinflusste Meisterdetektiv geben dem geradlinigen Genrekonzept ein paar Extraseiten, die man sich gern erzählen lässt.

© 2023 20th Century Studios. All Rights Reserved.

Fazit

Geistergeschichten und Detektivarbeit passen gut zusammen, das wusste schon Sherlock-Holmes-Autor Arthur Conan Doyle. Regisseur Kenneth Branagh gelingt es mit A HAUNTING IN VENICE ein paranormales Ereignis zum Leben zu erwecken und dennoch einem mörderischen Plan zu folgen. Die Geschichte konzentriert sich vor allem auf ihre Figuren und deren psychische Herausforderungen, die eine solche Geisterstunde erst richtig spannend macht.

© Christoph Müller

Titel, Cast und CrewA Haunting in Venice (2023)
Poster
ReleaseKinostart: 14.09.2023
RegieKenneth Branagh
Trailer
BesetzungKenneth Branagh (Hercule Poirot)
Tina Fey (Ariadne Oliver)
Camille Cottin (Olga Seminoff)
Kelly Reilly (Rowena Drake)
Michelle Yeoh (Joyce Reynolds)
Jamie Dornan (Dr. Leslie Ferrier)
Riccardo Scamarcio (Vitale Portfoglio)
Jude Hill (Leopold Ferrier)
Ali Khan (Nicholas Holland)
Emma Laird (Desdemona Holland)
Kyle Allen (Maxime Gerard)
DrehbuchMichael Green
VorlageBasiert auf dem Roman "Die Schneewittchen-Party"(Hallowe’en Party) von Agatha Christie
KameraHaris Zambarloukos
MusikHildur Guðnadóttir
SchnittLucy Donaldson
Filmlänge103 Minuten
FSKab 12 Jahren

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