Lynne Ramsays Romanverfilmung DIE MY LOVE erzählt von Grace, einem misfit, der sich den menschlichen Konventionen einfach nicht anpassen kann. Dabei hat sie scheinbar alles, Liebe, Glück. Grace und ihr Freund Jackson sind schwer verliebt, sie ist schwanger, die beiden ziehen in die ländliche Idylle nahe seiner Mutter. Grace ist ihren Mitmenschen sympathisch, zumindest anfangs, aber sie stößt alle vor den Kopf.

Einige Rezensenten schreiben ihr Verhalten postnataler Depression zu, aber das greift zu kurz. Das ist die Erklärung, an die sich Graces Umgebung klammert. „Über die Schwierigkeiten als junge Mutter redet niemand“, meint eine Nachbarin vorgeblich verständnisvoll. „Ich habe den Eindruck, es wird nur darüber geredet“, antwortet Grace. Sie kriecht wie ein Raubtier durchs Gras und fühlt sich ihrerseits von den Menschen bedrängt und attackiert. Auf einer Hausparty reißt sie sich zusammen, hat sich adrett hergerichtet und lächelt tapfer alle an. Das Kompliment „Du siehst heute aber viel besser aus“ wird so oft wiederholt, bis es nur noch giftig wirkt, und sie zornig antwortet: „Und du siehst heute auch viel besser aus!“

Auch der Musikeinsatz in DIE MY LOVE ist besonders. Einige Szenen haben so ungewöhnliche und dominante Musik, dass man von „damit unterlegt“ gar nicht mehr sprechen kann. Seine Wirkung verfehlt das nicht. Eine unangenehme Atmosphäre, eine Unbehaustheit macht sich auch beim Zuschauer breit. Anders als im School-Shooting-Drama WE NEED TO TALK ABOUT KEVIN von 2011, das sein Thema eher wie eine Behauptung vor sich hertrug als darin einzudringen, gelingt es Lynne Ramsay hier, einem die enigmatische Hauptfigur näherzubringen, obwohl sie fremd bleiben muss.

Jennifer Lawrence erfüllt Grace mit archaischer Wucht, still, aber mit Gewaltausbrüchen, meist gegen sich selbst. Robert Pattinson übernimmt tapfer die undankbare Rolle des verständnisvollen, aber überforderten Freunds. Neben Nick Nolte ist auch Sissy Spacek eindrucksvoll mit von der Partie. Sie spielt die greisenhafte Schwiegermutter Pam, die ihrem verstorbenen Ehemann nachtrauert und nicht mehr ganz richtig im Kopf ist. Auch dieser Tod bleibt rätselhaft: Hat er sich wirklich selbst erschossen – „in den Arsch“, wie es heißt? Oder hat Pam ihn getötet? War es ein Unfall?
Die Schwiegermutter, die selbst beschädigt ist, ist auch die Einzige, die eine echte Verbindung zu Grace aufbauen kann. Sie sagt immer wieder zu ihrem Sohn: „Lass sie gehen.“ Helfen kann sie ihr aber auch nicht.
Synecdoche New York, Los amantes del Círculo Polar, Melancholia, La mala educación, Underground, Grand Budapest Hotel – noch Fragen?


