„Kinder um jeden Preis“
Es ist immer etwas unverschämt, den Kinderwunsch mit den Krisen auf diesem Planeten zu verhandeln. Als ob die hohe Bevölkerungszahl unser Hauptproblem wäre. Selbst der Marvel-Bösewicht Thanos hat mit seiner Halbierung der Bevölkerung mehr Probleme erzeugt als Leben gerettet. Menschen, die unbedingt Kinder wollen, werden meist auch verantwortungsvolle Eltern und stellen ihre eigenen Bedürfnisse hinter die ihres Nachwuchses zurück. Vor 100 Jahren wollten viele Menschen Kinder, obwohl die gesundheitlichen Bedingungen schlecht und der Wohlstand gegenüber heute niedrig waren. Sicherlich hat die spätere Versorgung der Eltern und die Unterstützung im familiären Betrieb auch eine Rolle gespielt, aber die Zukunftsaussichten waren auch damals nicht gerade rosig. Der Kinderwunsch ist ein psychologischer und biologischer Wille, der schwer gebrochen werden kann. Was ist aber, wenn der Staat so sehr in diese Freiheit eingreift, dass Menschen auch gleich den eigenen Lebenssinn in Frage stellen? THE ASSESSMENT zeigt den Kinderwunsch eines angesehenen Paars, das versucht eine unwürdige und unfaire Prüfung eines autoritären Staates, zu bestehen. Es zeigt uns aber auch eine Zukunft, in der die Menschheit keine lebenswerte natürliche Umgebung mehr zu bieten hat. Kann es in einer solchen Welt überhaupt noch einen Lebenswillen geben?

Handlung
Die Welt wie wir sie kennen, scheint nicht mehr zu bestehen. Eine Vielzahl von Klimakatastrophe haben Flora und Fauna fast vollständig vernichtet. Soziale Unruhen haben die Bevölkerung gespalten. Der Staat hat die komplette Macht über das Leben von Willigen ergriffen und eine „Neue Welt“ mit strengen Regeln begründet. Die „Alte Welt“ ist nicht mehr zu sehen und wird als Hörensagen über das Leben von Wilden vor den Grenzen erzählt. In der Neuen Welt gehört das Paar Mia (Elizabeth Olsen) und Aaryan (Himesh Patel) zu den oberen 0,1 %. Währung scheint es nicht zu geben und die Rangfolge des Paares ist schwer nachzuvollziehen. Mia züchtet Pflanzen und Insekten in einem Gewächshaus, was ihren Haushalt zu Selbstversorgern macht, und Aaryan entwickelt virtuelle Haustiere. Echte Haustiere sind schon seit Jahren verboten. Beide wollen ein Kind. Jedoch hält der Staat seine Bevölkerung dank eines Medikaments unfruchtbar. Im Gegenzug verlängert es das Leben innerhalb einer schützenden Atmosphäre erheblich. Die Abhängigkeit liegt auf der Hand – lieber ein langes Leben nach den Gesetzen führen oder aus dem Land verwiesen werden. Mias Mutter wird als Dissidentin genannt.

Wer ein Kind möchte, muss eine siebentägige Prüfung einer Gutachterin bestehen. Erst dann wird eine künstliche Schwangerschaft in einem Labor eingeleitet. Die Prüferin Virginia (Alicia Vikander) scheint streng und verrät keines ihrer Beurteilungskriterien. Sie beginnt bereits am ersten Tag sich kindlich und ungezogen zu verhalten. Sie weiß ganz genau, wie sie den Elternwunsch in kleine Einzelteile zerreißt. Mia und Aaryan haben keine andere Wahl als das perfide Spiel mitzuspielen.

Fortpflanzungs- oder Selbsterhaltungstrieb
Wie kann man für etwas beurteilt werden, was man noch nicht ist? Allein das Konzept des Eignungstests ist fraglich, vor allem, wenn er von nur einer Person durchgeführt wird, die offensichtlich nicht objektiv ist. Gutachterin Virginia – hervorragend gespielt von Alicia Vikander, die in Sekunden, zwischen kindlich und bürokratisch bis hin zu innerlich zerrissen wechseln kann – sieht jede Schwäche in der Beziehung der Bewerber und auch in ihren menschlichen Makeln. Mit einem Mal ist Privatsphäre nicht mehr vorhanden. Sie sind stetig den urteilenden Augen der Beobachterin schonungslos ausgeliefert, selbst beim Sex lauscht sie an der offenen Tür. Wenn man Kinder hat, ist es mit der Privatsphäre auch vorbei, will man meinen, aber das stimmt nicht, denn man kann sie sich immer wieder für kurze Momente zurückholen.

In THE ASSESSEMENT sind die Antragsteller jedoch von dem Wohlgefallen ihrer Prüferin abhängig und tun alles, um sie stets zufriedenzustellen – etwas, was man seinem Kind auch nicht immer ermöglichen kann und sollte. Durch diese harte Prüfung, die nicht zufällig genau sieben Tage läuft, wird immer wieder die Frage aufgeworfen: Was ist wichtiger? Ein selbstbestimmtes freies Leben zu führen oder ein Kind zu bekommen und sich damit einzuschränken? Solche Wege in die Ungewissheit wie Kinder, Beruf oder ein neuer Wohnort sind das, was ein Leben ausmacht und es ist umso wichtiger nicht im Voraus zu wissen, was einen erwartet. Deswegen ist dieses Gutachten sinnlos, was das Ende des Films mit einer noch pessimistischeren Erklärung unterstreicht.

Inszenierung
Was THE ASSESSMENT neben seinen philosophischen und gesellschaftlichen Fragen so sehenswert macht, ist die Inszenierung der Regisseurin Fleur Fortuné. Spielfilmdebüts sind immer etwas Besonderes, weil die künstlerische Handschrift noch sehr persönlich zu sehen ist. Bei Erstlingswerken hat man immer das Gefühl, dass die Regisseurin oder der Regisseur etwas wirklich Originelles schaffen will. Fortuné, die vorher Werbe- und Musikvideos gedreht hat, wählt eine besonders unauffällige, simple Science-Fiction-Welt. Das Reden mit der heimischen, künstlichen Intelligenz ist bereits heute nichts Besonderes mehr und auch hier ein reines Werkzeug. Viel interessanter ist die Arbeit von Mia und Aaryan.

Mia nutzt geschickt Mikroklimas in einem eher heruntergekommenen Gewächshaus, um maximale Erträge zu erlangen. Aaryan gelingt es virtuelle Tiere zu erschaffen, die auch fühlbar sind. Geld, sozialer Kontakt und Konsum scheinen kaum noch vorhanden zu sein. Der gehobene Status des Paares ist in der Größe des Hauses und der freien Umgebung zu erahnen. Schwimmen im nahegelegenen Meer und keinerlei Abhängigkeiten von urbanen Räumen zeigen die Unabhängigkeit. Konsumgüter werden per Drohne direkt zur Haustür geliefert. Das Kammerspiel wird nur einmal mit einem Abendessen verlassen, was ebenfalls ein Test der potentiellen Eltern darstellt. Hier lernt man mehr über die Vergangenheit der Menschheit und ihre Probleme. Dennoch scheint man nur von den Sorgen der Menschheit zu erzählen und ohne sie selbst zu erleben. Dieser Personenkreis ist nicht nur von der Alten Welt getrennt, sondern auch innerhalb der neuen Welt in einer eigenen elitären Blase versammelt. Das schöne, aber sehr unpersönliche Haus verstärkt noch diesen Eindruck. Das Material ist zwar hochwertig, scheint aber schon durch ein paar Hände gereicht worden zu sein und Mia und Aaryan nur zugeteilt. Vielleicht haben sie es sich durch besondere Linientreue zur Regierung „verdient“.

Fazit
THE ASSESSMENT ist ein sehenswertes Spielfilmdebüt mit toller Besetzung und cleverem Drehbuch. Was am Ende vielleicht etwas stört, ist das Fehlen von Alternativen gegenüber dieser Dystopie. Das kann natürlich bedeuten, dass die Regisseurin Fleur Fortuné nicht gerade hoffnungsvoll in die Zukunft blickt, aber sie zeigt zumindest auf, warum diese Geschichte kein gutes Ende nimmt.
Titel, Cast und Crew | The Assessment (2024) |
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Poster | ![]() |
Release | seit dem 18.08.2025 im Mediabook (Ultra HD Blu-ray + Blu-ray) und auf Blu-ray und DVD erhältlich. Direkt beim Label bestellen. |
Regie | Fleur Fortuné |
Trailer | |
Originalstimmen | Alicia Vikander (Virginia) Elizabeth Olsen (Mia) Himesh Patel (Aaryan) Indira Varma (Ambika) Charlotte Ritchie (Serena) Minnie Driver (Evie) Leah Harvey (Holly) Nicholas Pinnock (Walter) Benny O. Arthur (Ash) Malaya Stern Takeda (Catherine) |
Drehbuch | Dave Thomas John Donnelly |
Musik | Emilie Levienaise-Farrouch |
Kamera | Magnus Nordenhof Jønk |
Schnitt | Yorgos Lamprinos |
Filmlänge | 114 Minuten |
FSK | ab 16 Jahren |
Chefredakteur
Kann bei ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT mitsprechen / Liebt das Kino, aber nicht die Gäste / Hat seinen moralischen Kompass von Jean-Luc Picard erhalten / Soundtracks auf Vinyl-Sammler / Stellt sich gern die Regale mit Filmen voll und rahmt nur noch seine Filmposter