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Pig (2021) – Filmkritik

„Erlösung in drei Gängen“

Essen ist Leben. Genauso vielfältig wie die eigene Existenz sein kann – abwechslungsreich, langweilig, spannend, teuer oder einfach – genauso kann Essen sein. Man kann den Hunger neben dem Monitor mit ein paar belegten Broten stillen oder man geht an einem schönen Abend mit einem geliebten Menschen in ein Lokal und lässt sich in feine Geschmäcker wie auch belebenden Gerüchen entführen, genießt die Zeit und somit auch die eigene Existenz. Wenn mir mal jemand gesagt hätte, dass ich bei einem Film mit Nicolas Cage in der Hauptrolle über die philosophische Komplexität von Kochen und Essen nachdenken würde, hätte ich denjenigen des Genusses von psychodelischen Pilzen bezichtigt. Aber 2021, dass Jahr in dem man nicht nur in Virologie dazulernt, wird zum Jahr der neuen Perspektiven im Independent-Kino. PIG, das Spielfilm-Regiedebüt von Michael Sarnoski ist so gänzlich anders als erwartet und so lebensbejahend wie ein Sonnenaufgang nach einer durchgearbeiteten Nachtschicht. Es ist ein Filmtipp für alle Cinephilen und Feinschmecker auf diesem Planeten, die Wissen, das Kochen keine Existenzgrundlage, sondern eine Lebenseinstellung.

© LEONINE Studios

Handlung

Rob (Nicolas Cage) lebt zurückgezogen in den Mischwäldern von Oregon. Mit seinem geliebten Hausschwein Apple sammelt er Trüffel im Waldboden und lebt vom Verkauf an seinen Zwischenhändler Amir (Alex Wolff). Seit über zehn Jahren meidet er den Kontakt zu anderen Menschen. Doch eines Nachts wird Apple von einem Junkie-Paar entführt. Rob, der sich als Robin Feld zu erkennen gibt, folgt der Diebesspur in die Gastronomieszene Portlands. Doch das ist keine fremde Welt für ihn, sondern eine Begegnung mit der eigenen Vergangenheit. Es ist eine finstere Welt der Chefköche, Souschefs, Vorbereitungsköche und Lebensmittelhändler. Und über allem thront der Gourmetkönig Darius (Adam Arkin).

© LEONINE Studios

Eine fremde Welt

Im Grundkonzept sehen solche Handlungsgerüst eigentlich immer gleich aus. Die Hauptfigur lebt ein einsames „Pensionsleben“, dann wird das letzte liebende Wesen entführt oder getötet und es geht in das alte Leben als Profikiller, Bad-Ass-Gangster oder ähnliches zurück. Alles mündet im Showdown mit einer blutigen, brutalen Racheorgie. PIG lockt auf diese Fährte des mehrfach ausgetreten Pfads (JOHN WICK, A HISTORY OF VIOLENCE) und biegt aber frühzeitig auf unbekannte Wege ab. Bleibt sogar manchmal stehen, weil vielleicht der Truck nur noch ein paar Meter weit fährt, die letzte bekannte Kellnerin schon seit Jahren tot ist oder es einfach ein paar auf die bärtige Nicolas-Visage gibt, ohne, dass er sich wehrt. Die Katharsis gelingt nicht durch Mord und Gewalt, sondern durch die Konzentration auf das Leben. Im Fall von PIG sind es geliebte Mitmenschen, eine Berufung, leckeres Essen und treue Haustiere.

© LEONINE Studios

Neben diesem abseitigen pazifistischen Weg, den der Protagonist Robin Feld bestreitet, werden die Zuschauerinnen und Zuschauer in eine unbekannte Welt geführt. Keine Machenschaften des organisierten Verbrechens, sondern die Gastronomieszene der amerikanischen Bilderbuchstadt Portland im trüben, regnerischen Herbst. Man will sich wetterfühlig in gemütliche, trockene Räume zurückziehen, muss aber bei Nicolas Cage verbleiben, der nur eine Handvoll Sätze zu sagen hat und sein schmieriges Aussehen förmlich riechbar ist. Mit ihm geht es nicht nur hinter die Küchentüren in edlen Restaurants, sondern noch viel tiefer, manchmal sogar unterirdisch in den geheimen Untergrund, welcher von Edgar (Darius Pierce) regiert wird. Das World-Building ist großartig erzählt, und wird häppchenweise dank der stilsicheren Inszenierung serviert.

© LEONINE Studios

Das visuelle Menü

In diesem farblich fein abstimmten Herbst kommen immer wieder gastronomische Reize zum Tragen. Der Film wird in drei Akten erzählt, die sogar mit dem Titel eines Gerichts eingeleitet werden. Die Kamera scheut sich nicht auf die Küchenarbeitsfläche zu schauen oder die minimalistische Art der Handwerke von Robin Feld zu zelebrieren. Doch zum knurrenden Magen dank eines bildlichen Stils wie zum Beispiel bei der Koch-Dokumentation CHEF’S TABLE kommt es nicht. Das Drama und die reuevolle, melancholische Art seiner Hauptfigur bleiben im Vordergrund. Dennoch könnten die Bilder prächtiger, schärfer, kunstvoller sein. Die von vielen geliebte wackelige Handkamera bringt zwar Kontakt zum Schauspiel, nervt aber immer wieder in dieser künstlerischen Immersion. Beim Gehen isst man bekanntlich auch nicht. Zudem könnten die Gerichte, die Restaurants noch etwas detailverliebter sein. Portland, Miterfinder der Streetfood-Market-Welle, kommt nur mit einer Szene der dampfenden Foodtrucks viel zu kurz. Es wird eher ein ungemütlicher Hinterhof gezeigt, der den Kochstil schon verspottet. Das sind aber nur kleine Kritikpunkte, die auf Grund des wichtigsten Aspekts, die Trauer-Bewältigung der Hauptfigur, verständlicherweise auf der Strecke bleiben können.

© LEONINE Studios

Fazit

Wer sich gern in seinen Erwartungen im Kino oder vor dem Fernseher irritieren lassen will, mit einem hinter Dreck und Haarwuchs kaum zu erkennenden Nicolas Cage durch den Gastronomie-Untergrund kriechen möchte und zudem weiß, dass Nahrung mehr als ein Energieträger ist, muss sich unbedingt einen Tisch im Filmerlebnis PIG reservieren. Zu Pressestimmen wie „Cage war nie besser“ lasse ich mich nicht hinreisen, sagen wir eher so: PIG ist einer der besten Filme in denen Nicolas Cage die Hauptrolle spielen durfte. Aber Michael Sarnoskis erster Regieschritt in die Filmbranche ist noch viel mehr, wenn man bereit ist, Film nicht nur als Unterhaltung zu sehen – bonne appétit.

© Christoph Müller

Titel, Cast und CrewPig (2021)
Poster
Releaseab dem 19.11.2021 auf Blu-ray und DVD

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RegisseurMichael Sarnoski
Trailer
BesetzungNicolas Cage (Rob/Robin Feld)
Alex Wolff (Amir)
Cassandra Violet (Lori)
Darius Pierce (Edgar)
Adam Arkin (Darius)
October Moore (Helen)
DrehbuchVanessa Block
Michael Sarnoski
KameraPatrick Scola
MusikAlexis Grapsas
Philip Klein
SchnittBrett W. Bachman
Filmlänge91 Minuten
FSKab 16 Jahren

2 Gedanken zu „Pig (2021) – Filmkritik“

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