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Strange Dreams (2020) – Filmkritik

Mit seinen drei Horror-Mystery-Filmen OUR HOUSE (2018), HOLIDAYS (2016) und IM HOHEN GRAS (IN THE TALL GRASS, 2019) hat der Kanadier Anthony Scott Burns bereits bewiesen, dass er sein Handwerk versteht. Geboren in Kitchener, Ontario, begann der Filmemacher seine Karriere als Visual-Effects-Künstler und Musiker (Pilotpriest). Schon in jungen Jahren interessierte er sich für alles, was mit Film in Verbindung steht und diese Leidenschaft hält bis heute ungebrochen an. Mit seinem neusten Werk STRANGE DREAMS widmet er sich einem Thema, dass der heutigen Forschung noch viele Fragen stellt: dem Schlaf. Viele Zweige der Wissenschaft beschäftigen sich mit dieser alltäglichen Materie, an das die meisten von uns keinen Gedanken verschwenden, außer uns plagen Schlafstörungen. So viel sei vorweggenommen, Burns neustes Werk präsentiert sehr spannende Antworten auf dieses vielschichtige Thema.

© Koch Films

Handlung

Sarah (Julia Sarah Stone) hat große Probleme mit ihrer Mutter und ist von zu Hause abgehauen. Tagsüber hält sie sich hauptsächlich in der Schule auf, nachts schläft sie, wo sie einen sicheren Platz findet. Da kommt das Angebot für eine Schlafstudie von Dr. Meyer (Christopher Heatherington) genau richtig. Doch an erholsame Nachtruhe ist nicht zu denken. Denn die undurchsichtige Forschungsgruppe um den jungen und ehrgeizigen Jeremy (Landon Liboiron) lotet mit revolutionärer Technologie die Grenzen des Unterbewusstseins aus. Was sie dort vorfinden, bringt nicht nur Sarah in Gefahr.

STRANGE DREAMS (COME TRUE, 2020)
© Koch Films

Animus und Anima [1]

Absolute Dunkelheit, aus der sich nur langsam ein gewaltiger Berg herausschält. Wir gleiten über einen Steg direkt darauf zu. Als wir ihn erreichen, bildet sich ein Eingang zu einer Höhle, die wir ohne Zögern passieren. Erneut umfängt uns totale Finsternis, eine Tür direkt gegenüber wird sichtbar. Wir schweben weiter und sie öffnet sich umgehend. Wieder umhüllt uns tiefste Finsternis. Zwei Säulen schälen sich rechts und links von unserer Flugbahn aus dem Nichts, weit voraus erblicken wir eine Gestalt, die uns den Rücken zukehrt. Wir schweben weiter vorwärts, direkt auf den Fremden zu. Immer näher und näher, wir sind kurz davor ihn zu berühren… und erwachen. Das ist in wenigen Worten zusammengefasst der unheimliche Beginn von STRANGE DREAMS. Die Träume in Anthony Scott Burns neustem Film sind der Dreh- und Angelpunkt der Geschichte. Denn genau darum geht es hier, ohne jetzt allzu viel vom spannenden Plot verraten zu wollen. Dass selbst Träume virulent sein können, zeigt uns dieser Film, trotz alledem wirken sie in ihrer Gesamtheit auch sehr elegisch. Selektieren wir die Träume von STRANGE DREAMS, könnten sie unserer dunkelsten Fantasie entsprungen sein oder direkt aus SILENT HILL (2006) sowie DIE GEISTERSTADT DER ZOMBIES (…E TU VIVRAI NEL TERRORE! L‘ALDILÀ, 1981) importiert. Aber bevor jetzt einer auf einen falschen Gedanken kommt, es handelt sich nur um einen Vergleich der dargestellten Träume, mit den eben erwähnten Filmen hat STRANGE DREAMS keine Gemeinsamkeiten.

© Koch Films

Auch die weiteren Träume haben einiges zu bieten, wie etwa der zweite: Zuerst schweben wir über eine Art von Schlachtfeld, ähnlich den vielen bekannten Aufnahmen aus dem 1. Weltkrieg. Im Hintergrund erscheint ein Monolith, wie wir ihn aus 2001: ODYSSEE IM WELTRAUM (2001: A SPACE ODYSSEY, 1968) kennen. Beim Näherkommen verwandelt er sich jedoch in eine Tür, die schwerelos in der Luft hängt. Das wiederum erinnert uns an Stephen Kings „Der-Dunkle-Turm-Saga“, die im Zeitraum zwischen 1982-2004 erschien. Dunkel, geheimnisvoll, grauenhaft und mysteriös, so würde ich diese und alle weiteren Aufnahmen beschreiben.

© Koch Films
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Wenn wir jedoch nach Einflüssen für Burns neustes Werk Ausschau halten, müssen wir etwas weiter zurück in der Filmgeschichte reisen. Dort stoßen wir im Jahre 1983 auf einen zu Unrecht immer wieder unterschätzen Film von Douglas Trumbull. Die Rede ist von seinem genialen Science-Fiction-Thriller PROJEKT BRAINSTORM (in den Hauptrollen Christopher Walken, Natalie Wood und Louise Fletcher). Darin finden zwei geniale Wissenschaftler eine Möglichkeit, Bilder, Gedanken und sogar Gefühle eines Menschen wie einen Film aufzunehmen und für jede andere Person erfahrbar zu machen. Derjenige spürt bei Sichtung dieses „Films“ genau das, was der andere fühlte und erlebte zum Zeitpunkt der Aufnahme, wenn es sein muss, auch den Tod. In STRANGE DREAMS hat die Forschergruppe um Dr. Meyer ein ähnliches Verfahren entwickelt. Sie können jedes Bild, egal ob im Schlaf- oder Wachzustand, das im Kopf eines Menschen entsteht, umwandeln und auf Bildschirmen übertragen. Somit ist es für sie möglich, jede Art von Schlafstörungen oder Krankheiten, die damit im Zusammenhang stehen, besser verstehen und letztendlich heilen. Und nein, weder INCEPTION (2010) noch MATRIX (1999) behandeln solch ein Thema. Dort geht es einzig und alleine darum, dem Gehirn einzelner Personen eine virtuelle Welt vorzutäuschen. Ähnliches gibt es in dem russischen Werk COMA (KOMA, 2019) zu bestaunen. Dort erschafft ein durchgeknallter Forscher für Komapatienten eine virtuelle Welt, ähnlich den Vorbildern INCEPTION und MATRIX. Das Ganze präsentiert sich im Stil eines Abenteuerfilms, der nur am Rand auf medizinische Details eingeht. Was darf es denn nun sein; „Die rote oder die blaue Pille?“

STRANGE DREAMS (COME TRUE, 2020)
© Koch Films

Schlaf [2]

Auffallend ist der extrem entsättigte Farbraum in STRANGE DREAMS, der nur kalte Weiß-, Blau- und Grautöne zulässt. Er verstärkt die frostige Atmosphäre wie auch die kühle Distanziertheit, mit der unsere Protagonistin die Menschen und ihre Umgebung wahrnimmt. Auf der anderen Seite hebt es den sterilen und kalten Touch moderner Technologie hervor. Sarahs Träume hingegen kommen in fantastischen Schwarz-Weiß-Bildern, die seinesgleichen Suchen. Anthony Scott Burns entwirft in STRANGE DREAMS eine ungemütliche, technisierte, retro-futuristische Zukunft. In kalten, zum Teil sterilen Bildern präsentiert er uns diesen Ort, der unserer bekannten Welt so verdammt ähnlich erscheint, fast schon zu ähnlich. Bei Burns fühlt sich der Betrachter eher wie in einem verlassenen Krankenhausflur oder einem Operationssaal. Daneben finden wir zahlreiche Hinweise auf die uns bekannte Welt, wie etwa ein Poster aus dem Film TERMINATOR (1984). Oder der Kinobesuch, bei dem Georg A. Romeros Klassiker DIE NACHT DER LEBENDEN TOTEN (NIGHT OF THE LIVING DEAD, 1968) aufgeführt wird. Ein weiterer wichtiger Hinweis, den Burns uns im Verlauf seines Films unter die Nase hält, ist der Besuch eines Buchladens. Dort greift Sarah sich einen Roman des US-Autors Philip K. Dick (1928-1982)[3], der als einer der bedeutendsten Science-Fiction-Autoren der Welt gilt. Wer die Werke Dick‘s kennt und die oben erwähnten Hinweise richtig deutet, der ahnt so langsam um was es wirklich geht.

© Koch Films

Koma [4]

Eines der großen Mysterien der Natur ist das menschliche Gehirn und die Zeit des Schlafens. Was ist Schlaf, und was passiert währenddessen? Was für Prozesse laufen in unserem Gehirn ab, und was ist mit unserem Bewusstsein und dem Unterbewusstsein? Warum müssen wir überhaupt schlafen? Fragen, die bis heute nicht ausreichend geklärt sind und sicherlich noch einige Überraschungen in der Zukunft für uns bereithalten werden. All dem hat sich Regisseur Anthony Scott Burns gestellt und in STRANGE DREAMS visuell in Szene gesetzt, mit einigen spannenden und sehr außergewöhnlichen Ideen. Der Originaltitel COME TRUE bedeutet so viel wie „Wahr werden“ oder „sich bewahrheiten“ lassen, doch was wirklich „wahr“ wird, erschließt sich dem Rezipienten in seinem ganzen Umfang erst im großartigen Finale und lässt Reminiszenzen an einen anderen Horrorklassiker aufkommen: JOHN CARPENTER‘S DIE FÜRSTEN DER DUNKELHEIT (PRINCE OF DARKNESS, 1987).

STRANGE DREAMS (COME TRUE, 2020)
© Koch Films
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In einigen Besprechungen zu STRANGE DREAMS war bereits mehrfach zu lesen, dass Anthony Scott Burns als „legitimer Erbe“ von Body-Horror-Meister David Cronenberg gehandelt wird – was auch immer das zu bedeuten hat. Aber die Klassiker Cronenbergs wie etwa PARASITEN-MÖRDER (SHIVERS, 1975), DIE BRUT (THE BROOD, 1979), VIDEODROME (1983), DIE FLIEGE (THE FLY, 1986) oder EXISTENZ (1999), um nur ein paar zu nennen, mit Burns Werken zu vergleichen ist in meinen Augen, als würden wir Äpfel und Birnen gegenüberstellen. Anthony Scott Burns ist ein junger, unverbrauchter Filmemacher mit einem Gespür für das Ungewöhnliche. Hoffen wir, dass er noch lange dem Genre erhalten bleibt und sich nicht vom großen Geld aus Hollywood verführen lässt. Sehr gerne würde ich zum Abschluss einige Szenen des Films analysieren oder zumindest die wichtigsten Aspekte hervorheben. Doch das wäre mit Spoilern verbunden, was wir an dieser Stelle unterlassen werden, um niemanden den Spaß an STRANGE DREAMS zu verderben und ihn ganz ungezwungen für sich selbst zu entdecken. Ein Tipp noch: Unbedingt die Lautstärke erhöhen, denn der Soundteppich wie auch der Score von Electric Youth sind genial.

STRANGE DREAMS (COME TRUE, 2020)
© Koch Films

Fazit

Anthony Scott Burns neuster Film STRANGE DREAMS führt uns in bisher ungesehene innere Welten des Schreckens. Er entfesselt eine beklemmende Symphonie des Grauens, die noch lange nachwirkt. Eine visionäre Geschichte, die unser Innerstes aufwühlt und unser Ich und das Es [5] mit Gewalt hervorzerrt. Ich wünsche angenehme Träume.

© Stefan F.

Quellen:

Titel, Cast und CrewStrange Dreams (2020)
OT: Come True
Poster
Releaseab dem 23.09.2021 im Mediabook (Blu-ray + DVD), Blu-ray und DVD

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RegisseurAnthony Scott Burns
Trailer
BesetzungJulia Sarah Stone (Sarah Dunne)
Landon Liboiron (Jeremy)
Carlee Ryski (Anita)
Christopher Heatherington (Dr. Meyer)
Tedra Rogers (Zoe)
Brandon DeWyn (Michael)
DrehbuchAnthony Scott Burns
Daniel Weissenberger
KameraAnthony Scott Burns
MusikAnthony Scott Burns
Electric Youth
SchnittAnthony Scott Burns
Filmlänge105 Minuten
FSKab 16 Jahren

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