Zum Inhalt springen

28 Years Later (2025) – Filmkritik

„Ich sterbe, also bin ich“

Für einige Cineasten war die Erfindung der digitalen Kamera ein Verrat an der filmischen Kunstform. Zu unscharf, zu wenig Kontrast, zu künstliche Farben und zu billig in der Herstellung. Für Regisseur Danny Boyle war es jedoch eine Befreiung. 2002 drehte er den Zombie-Endzeitfilm 28 DAYS LATER auf MiniDV. Diese agile Welle aus Wut und Weltuntergang lockte Millionen in die Kinos, trotz schlechter Bildqualität. Der Erfolg ist aber auch dem damaligen Drehbuchautor Alex Garland zu verdanken, der mittlerweile selbst sehr erfolgreich sozial-komplexe und kritische Filme dreht. Wenn man die rasante Inszenierung Boyles, mit schnellen Schnittfolgen und ungewöhnlichen Perspektiven, erlebt, sieht man förmlich seinen Ausbildungsort der 1980er-Jahre: Musikvideos. Zusammen mit seiner Leidenschaft fürs Theater ist Boyle ein Fusionsreaktor für ungewöhnliche Kinoerlebnisse. Und für seinen neuesten Film 28 YEARS LATER gilt dies umso mehr.

© 2025 CTMG, Inc. All Rights Reserved.

Handlung

Vor 28 Jahre fegte der „Wut-Virus“ über Großbritannien hinweg. Vor der Küste Englands hat sich eine Gruppe Überlebender auf eine überschaubare Insel zurückgezogen. Eine Verbindung zur Küste gibt es nur über einen schmalen Weg, der von Ebbe und Flut beeinflusst wird. Die dörfliche Gemeinschaft lebt ein einfaches Leben, in dem jeder mit seiner Arbeit ein Teil der Gemeinschaft ist. Für den jungen Spike (Alfie Williams) ist es an der Zeit, zum ersten Mal die Isolation zu verlassen. An seiner Seite ist sein Vater Jamie (Aaron Taylor-Johnson). Seine Prüfung ist es, den ersten Untoten mit Pfeil und Bogen auf dem Festland zu erlegen. Das Unterfangen gelingt und beide kehren knapp mit ihrem Leben zurück. Beim Dorffest erfährt Spike, dass es seit vielen Jahren ein Arzt geschafft hat, zwischen den Infizierten zu überleben. Dr. Kelson (Ralph Fiennes) könnte die Rettung für seine Mutter Isla (Jodie Comer) sein, die immer wieder Phasen der Verwirrung und Demenz erlebt. Doch auf diesem Weg befinden sich jede Menge hungrige Untote, denen es nach Abwechslung vom Rotwild verlangt.

© 2025 CTMG, Inc. All Rights Reserved.

Die Geschichte

Bevor wir zu den visuellen und erzählerischen Besonderheiten kommen, müssen wir zuallererst über das Drehbuch von Alex Garland sprechen. Garland gelingt es, wie schon in CIVIL WAR (2024) sein Publikum Stück für Stück an den Rand menschlicher Gesellschaft zu führen. Indem er klein anfängt und dann weitere Perspektiven hinzufügt. Hier beginnt er in einer ländlichen Gemeinschaft mit traditionellen, britischen Werten, führt danach zu spirituellen Fragen des Todes, forscht den Kräften der Natur nach und setzt mit militärischem Drill und der Kritik an unserer Konsumgesellschaft Ausrufezeichen. Ihm gelingt es, dies nie zu komplex oder verkopft zu gestalten, ohne dabei Spannung oder Figurenbindung zu verlieren. Manchmal schießt er über das Ziel hinaus, aber dann auch nur, um zu provozieren. Hier zum Beispiel etwa mit der Geburt eines gesunden Babys durch eine Infizierte.

© 2025 CTMG, Inc. All Rights Reserved.

British Empire

Schon der Beginn mit der Inselgemeinschaft ist voller Seitenkommentare und Fragen zu familiären und sozialen Werten. Teilweise mit Archivmaterial aus alten Ritterfilmen, wird das Leben auf der Insel mittelalterlich unterstrichen. Die Jungen werden zu Jägern und Bogenschützen ausgebildet, jeder im Dorf weiß, dass Spike heute seine „große Prüfung“ hat und die Mutter siecht währenddessen im Obergeschoss dahin. Hier lebt das alte Großbritannien, jenes, das für den Brexit stimmte. Eine kleine Gemeinschaft ohne kulturelle Varianz, die aus Fischern und Handwerkern besteht. Die Frauen scheinen landwirtschaftliche und häusliche Aufgaben zu haben. Den Kindern werden konservative Werte bereits in der Schule eingetrichtert und der Frieden wird durch strenge Regeln gewahrt. Was ein Gewinn für 28 YEARS LATER ist, dass die junge Hauptfigur Spike nicht etwa durch Intelligenz oder besondere Talente auffällt, sondern einfach besonders empathisch gegenüber seiner Mutter ist und nicht dem maskulinen Verhalten seines Vaters nacheifern will. Er scheint nichts Ruhmreiches im Töten von Infizierten zu finden und will auch der Isolation der Insel fliehen, der typische Jugendwunsch das Elternhaus zu verlassen. Spike wird in der Filmmitte dem jungen schwedischen Soldat Erik (Edvin Ryding) gegenübergestellt, der außerhalb dieser mittelalterlichen Welt mit Technologie und militärischem Patos aufgewachsen ist. Ebenfalls ein guter Kommentar zum medialen Appell junge Menschen in eine Uniform stecken zu wollen.

© 2025 CTMG, Inc. All Rights Reserved.

Vom Töten bis zum Tod

Gleich zu Beginn gibt es in 28 YEARS LATER jede Menge typische Zombie-Verfolgungsjagden. Sie sind schnell, spannend und selten klischeebehaftet. Doch der Film verlässt diesen blutigen Strudel immer wieder und für alle die dem Ekel entkommen wollen, gibt es einen in Jod Getauchten Ralph Fiennes als Dr. Kelson. Wie ein angelsächsischer Schamane bringt er diese Reise auf eine spirituelle Ebene und scheint im Einklang mit der Höllenwelt zu sein. Er schafft sogar so etwas wie sakrale Kunst und dabei deutlich bodenständiger als etwa Damien Hirst. Selten wurde sich in einem Mainstream-Horrorfilm so gefühlvoll mit dem Ableben und Abschied von geliebten Menschen beschäftigt. An so eine Thematik wird sich nur noch selten herangewagt und ist vor allem jetzt in unserer älter werdenden Gesellschaft zwingend erforderlich. Es ist wie ein Gegenangebot zum Rest der Genrevertreter in denen Leben und Tod willkürlich, grausam und schnell stattfinden. Diese Begleitung des Ablebens ist sicherlich eine der stärksten Momente des Films und wird noch lange in Erinnerung bleiben.

© 2025 CTMG, Inc. All Rights Reserved.

Die wichtige Generation: die jüngste

Viel zu oft verkommen Debatten zu trockenen, unbedeutenden und arroganten Machtdemonstrationen. Die junge Generation wird auf eine Minderheit zurechtgestutzt. In sozialen Fragen wird sie ignoriert, ihr Hinterfragen von Geschlechterrollen als Modeerscheinung abgetan, in Kindern potenzielles Kanonenfutter gesehen und immer stärker die Zukunft mit sauberem Wasser und klarer Luft aufs Spiel gesetzt. Der steigende Wohlstand Ende des 20. Jahrhunderts hat einen Großteil der Baby Boomer und Generation X träge werden lassen. Sie kleben an überholungsbedürftigen Werten, wie dem großen Auto und schützen damit die Machtgierigen und Egoisten, die die Menschheit wie eine Herde Schafe vor sich hertreiben. Danny Boyle und Alex Garland hingegen, stellen bekannte Stars als Nebendarsteller auf die Seitenlinie und legen den Fokus auf die junge Hauptfigur Spike. Der versucht irgendwie zwischen Pubertät und Weltuntergang klarzukommen. Seine Figurenzeichnung ist sympathisch und nahbar. Das macht 28 YEARS LATER schon ein bisschen zu einem Coming-Of-Age-Film, was ebenfalls ironisch ist, da der Film erst ab 18 Jahren in Deutschland freigegeben wurde. Bei den enthaltenen brutalen Szenen ist der Jugendschutz völlig vertretbar, aber vielleicht hätte etwas weniger Grausamkeit, um eine jüngere Zielgruppe für den Film zu gewinnen, gutgetan. Aber vielleicht gelingt es auch das erwachsene Publikum an die eigene Jugend zu erinnern und den Blick für frische Perspektiven zu erweitern.

Diskussionspunkt: die letzte Szene. Satirisch überzeichnet und eher als ironischer Schlusspunkt kann dieser Moment gesehen werden. Es ist ein Subkultur-Angebot aus Jogginganzug und blondierten Haaren – ob es für Spike interessant ist, lässt sich kaum beurteilen.

Fazit

Von wegen, ein müder Aufguss zum Franchise fürs Massenpublikum: 28 YEARS LATER ist vielschichtig, spannend, unerwartet, jung und originell. Sicherlich einer der besten Endzeitfilme mit Zombiethematik der letzten Jahre und ein Kommentar auf unsere Gegenwart wie ein Pfeilschuss ins Schwarze.

© Christoph Müller

Titel, Cast und Crew28 Years Later (2025)
Poster
ReleaseKinostart: 19.07.2025
RegieDanny Boyle
Trailer
BesetzungAlfie Williams (Spike)
Jodie Comer (Isla)
Aaron Taylor-Johnson (Jamie)
Ralph Fiennes (Dr. Kelson)
Christopher Fulford (Sam)
Erin Kellyman (Jimmy Ink)
Edvin Ryding (Edvin Sundqvist)
DrehbuchAlex Garland
MusikYoung Fathers
KameraAnthony Dod Mantle
SchnittJon Harris
Filmlänge105 Minuten
FSKab 12 Jahren

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert