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12 Monkeys (1995) – Filmkritik und Review der Arrow Blu-ray

„Affentheater“

Zurück in die Zukunft

12 MONKEYS (1995, R: Terry Gilliam) war eines jener Werke, die sehr früh zu meiner filmischen Sozialisation beigetragen haben. Um die Jahrtausendwende herum nahm ich ihn damals noch auf Videokassette auf, ebenso wie BRAZIL desselben Regisseurs, wenn beide zumeist im Spätabend- oder Nachtprogramm liefen. Das passt auch besser zur dystopischen Stimmung, die diese Filme vermitteln. Man muss sich das nur einmal vorstellen: apokalyptische Szenarien gemütlich beim nachmittäglichen Tee anschauen!? Eigentlich undenkbar. Doch derzeit läuft in unserer Welt sowieso alles anders, und wenn man schon nicht großartig raus darf und obendrein das Wetter noch trist ist…? Also rein ins Affentheater. Nach etlichen Jahren habe ich den Film nun endlich wiedergesehen – und gleich im derzeit besten Heimkinoformat dank der hervorragenden HD-Restauration durch das britische Label Arrow auf der Blu-ray.

© 1995 Universal Studios

12 MONKEYS ist bis heute Terry Gilliams erfolgreichster Film. Das hat zwei Gründe, die dem eingefleischten Fan wohl bekannt sind. Zum einen gab sich der Regisseur, dessen schwieriger Ruf ihm in Hollywood vorauseilte, nach seinem KÖNIG DER FISCHER (THE FISHER KING, 1991) erneut sehr umgänglich und hielt weitestgehend den Drehplan ein. Zum anderen wurde der Film Ende 1995, Anfang 1996 veröffentlicht. Da waren Bruce Willis und Brad Pitt natürlich schon Superstars – Willis damals noch mehr als Pitt –, aber noch nicht so übergroß, wie sie es nur wenig später von sich behaupten durften. Der Film ist also in gewisser Weise ein Star-Vehikel im engeren Sinne. Während Willis auf einen Großteil seines sonst üblichen Budgets verzichtete und ganz gezielt diese anspruchsvolle Rolle wählte, war der Film für Pitt (zusammen mit SE7EN) der entscheidende Karriereschritt als Charakterdarsteller. Für die Produktionsfirma und den internationalen Verleih waren diese beiden Namen Gold wert, für sie selbst war tatsächlich – das hat man heute leider immer weniger – der originelle Stoff und ihre möglichst markanten Darbietungen darin entscheidend. 12 MONKEYS ist in dieser Hinsicht der seltene Glücksfall, bei dem alles produktiv zusammenkommt.

© 1995 Universal Studios

Gilliams bester?

12 MONKEYS avancierte recht schnell zum Kultfilm, nachdem er sich im US-Weihnachtsgeschäft sowohl gegen CLOCKERS (mit Harvey Keitel) und Martin Scorseses CASINO (mit Robert DeNiro und Sharon Stone) durchsetzen konnte. Den Begriff „Kultfilm“ benutze ich immer vorsichtiger, doch hier trifft es noch zu: die Leute kamen als rebellische Chaostruppe verkleidet ins Kino, manche in weißen Nachthemden wie die Insassen der Nervenheilanstalt. Mit dem Aufkeimen des Internet wurden eigene Verschwörungstheorien um die „Armee der 12 Monkeys“ gesponnen und weitreichend diskutiert. Die Kinos selbst druckten teils eigene Teaserplakate mit dem roten Uhrzeiger-Logo in Stempelform mit den zwölf Affen und den verbogenen Zeigern (ich selbst habe ein solches zu Hause, im seltener verwendeten A2-Format, mit einer deutschen Überschrift: „Sie sind da!“). Gilliams Film wurde damals sehnsüchtig erwartet und ihm gelang zugegeben ein ziemlich guter Kniff.

© 1995 Universal Studios

Zunächst sind „Überbleibsel“ (der Macher benutzt dieses Wort selbst im Interview) aus seinen vorherigen Filmen erkennbar, allen voran der bereits erwähnte BRAZIL (1985), der ganz konkret ein dystopisch-urbanes Staatsgebilde abbildet (und ins Groteske überhöht), sowie TIME BANDITS (1981), dessen haptische Plastizität hier über weite Strecken spürbar ist und dessen Zeitreise-Thematik in 12 MONKEYS aufgegriffen wird. Dann aber setzt sich Gilliam über seine eigenen Marotten weitestgehend hinweg und serviert, wie schon bei KÖNIG DER FISCHER, bestes Schauspielkino mit packenden Emotionen. Die Bildgestaltung indes bleibt ausgefeilt, wie bei eigentlich all seinen Filmen, Kameradirektor Roger Pratt (BRAZIL; BATMAN, 1989) hebt die Welt förmlich aus den Angeln: vielfältige Kameraschwenks entlang unkonventioneller Positionen – auffällig sind die häufigen Kreisbewegungen im kleineren und größeren Maßstab sowie schräg versetzte Unter- und Draufsichten – werden in ein durchweg originäres Farbschema aus erdigen Braun- und Grautönen eingebettet, das an dezidierten Stellen von künstlichen Lichtreflexionen und metallischem Glanz durchschnitten wird.

© 1995 Universal Studios

Die visuelle Qualität von 12 MONKEYS ist von düster-malerischer Natur und greift ganz bewusst die dystopische Nüchternheit einiger Endzeitfilme auf, anstatt sie – vgl. DAS FÜNFTE ELEMENT mit Willis zwei Jahre später – mit überbevölkerten und am Computer generierten Welten in knallbuntes Bonbonpapier zu verpacken. In diesem Sinne ist der Film ein Paradebeispiel einer in Bilder getauchten „regressiven Dystopie“, die in naher Zukunft die dramaturgische Zuspitzung eines negativen Gesellschaftsbilds beschreibt (wir erinnern uns: der Film erschien Ende 1995 und spielt in den Jahren 1990 sowie 1996). Ob 12 MONKEYS jetzt Gilliams bester Film ist, darüber kann man streiten, aber er ist definitiv einer seiner stimmigsten und wohl auch sein zugänglichster – was aber für bisherige Gilliam-Verschonte immer noch strange genug wirken dürfte.

© 1995 Universal Studios

(Post-)Apokalyptische Pandemie

Zur Handlung erfahrt Ihr bei uns nur das Übliche, d. h. keine näheren Spoiler – es würde dem Film und Eurer Erfahrung damit wahrlich nicht gut tun. Nur so viel: das Spiel um Identitäten und Verantwortung – durch den längeren Zeitwechsel von 2035 zu 1990/1996 betrachtet man eigentlich zwei in sich verkabelte Filme – dreht sich um eine gefährliche Virus-Pandemie, die in sehr kurzer Zeit bis im Jahr 1997, so die Texteinblendung zu Beginn des Films, fünf Milliarden Menschen tötete und die Überlebenden zum Rückzug unterhalb der Erde zwang. Die Tiere indes übernahmen wieder die Herrschaft über die Welt (obschon wir in den Trickaufnahmen nur wenige Exemplare selbst zu Gesicht bekommen). Generell wirkt Mutter Erde in 12 MONKEYS wie die mehrfach durch die Müllpresse gezerrte Version ihrer selbst. Selbst vor der bezeichneten Apokalypse durch die „Armee der 12 Monkeys“ erscheint uns das Lebensumfeld als zutiefst abschüssige Variante, ganz im Sinne realitätsnaher Dystopien. Die Menschen, mit denen James Cole (Bruce Willis) in Kontakt treten muss, um die Apokalypse zu verhindern, befinden sich durchweg in „Grenzräumen“, wie ich es bezeichnen möchte: Orte gesellschaftlicher Grenzerfahrungen und Zuspitzungen, wie eine Nervenheilanstalt, ein biologisches Hochsicherheitslabor oder ein Bordell mit skurrilen Dauergästen. Der Film basiert dabei nur lose auf Chris Markers berühmtem Kurzfilm AM RANDE DES ROLLFELDS (LA JETÉE, 1962), dessen Essenz das Drehbuchpaar David und Janet Peoples zu etwas merklich Eigenständigem ausgearbeitet haben (Gilliam sah nach eigener Aussage Markers Film zunächst nicht, um sich ästhetisch nicht von ihm beeinflussen zu lassen).

© 1995 Universal Studios

Unter gegenwärtigen Gesichtspunkten ist 12 MONKEYS nicht nur auffallend aktuell – er ist schmerzlich präsent. Hier, und dieser umschriebene Spoiler darf sein, fallen dem Zuschauer nach vollständiger Sichtung sofort die Parallelen zu gegenwärtigen wissenschaftspolitischen Entscheidungen auf. Mich selbst schauderte es am Nachmittag kurz vor Fertigstellung dieses Textes (02.04.2020), als folgender Bericht der New York Times vom Dezember 2017 verstärkt im Netz kursierte – demnach werden bereits seit einiger Zeit Restriktionen gelockert, wonach Wissenschaftler mit gefährlichen Viren experimentieren dürfen. Der Mensch meint also in seiner Überheblichkeit, die Vorteile würden die Risiken überwiegen. Diese unserer Spezies inhärente Fatalität wird zuletzt auch in 12 MONKEYS nachdrücklich vermittelt. Als ich (viel) jünger war, dachte ich immer unsere Erde würde einmal wie in WATERWORLD oder MAD MAX enden. Nun ahne ich, dass es wohl dieser Film hier sein wird.

© 1995 Universal Studios

Die Blu-ray von Arrow Video (UK)

12 MONKEYS war im Jahr 1997 der erste Film überhaupt, der im europäischen Markt auf DVD veröffentlicht wurde. Das deutsche Label Concorde Video produzierte in Zusammenarbeit mit Panasonic 12 MONKEYS als erste Pal-DVD in Europa und gab damit den Startschuss für eine Entwicklung, die den gesamten Heimkino-Bereich revolutionierte und wenig später die Umbenennung des Labels in Concorde Home Entertainment bewirkte. Die Scheibe wurde damals zusammen mit den ersten Code 2 DVD-Playern (Typ Panasonic A 100) ausgeliefert. (Quelle: OFDb).

Nach zahlreichen Neuauflagen auf DVD und schließlich als Blu-ray (2007), die neben dem Bild bereits zahlreiche Tonverbesserungen erfuhren, erschien 12 MONKEYS zuletzt im Oktober 2018 in einer vollständig neuen Restauration durch Arrow Video. Das Bild basiert auf einem eigens für diese Edition produzierten 4K-Scan vom Original-Negativ, wobei Arrow hier bei der Postproduktion des HD-Bilds dankenswerter Weise auf nachträgliche „colour correction“ verzichtete, für die sie nicht selten Diskussionsstoff bieten. Das Bild wirkt also im Vergleich zu früheren digitalen Versionen frischer und detailreicher, doch insgesamt sehr filmisch, wenn das Filmkorn dieses rein analog gedrehten Werks durchgängig sichtbar bleibt. Das Upgrade tut dem Film sehr gut, nicht zuletzt, da kaum (sichtbare) digitale Effekte zum Einsatz kommen und das Worldbuilding durch Gilliam und Produktionsgestalter Jeffrey Beecroft (THE GAME, 1997; A QUIET PLACE, 2018) vorrangig plastisch kreiert wurde. Der Ton liegt hier entsprechend der britischen Veröffentlichung nicht auf Deutsch vor, was mir aber beim Kauf und zur Aufstockung meiner Arrow-Sammlung durchaus bewusst war (ich gucke gerne auch auf Deutsch, meist aber in O-Ton); hier kann der Zuschauer zwischen dem restaurierten Stereoton 2.0 wählen, der auf der originalen DTS Stereo-Abmischung basiert und dem viel satteren Surround-Mix, der auch in vielen Kinos gezeigt wurde und hier als leicht komprimiertes DTS-HD Master Audio vorliegt. Insgesamt bietet dies eine gelungene Wahlmöglichkeit für Leute mit oder ohne Surround-Anlage zu Hause, die Bild und Klang stets optimal präsentiert bekommen.

© 1995 Universal Studios

Bezüglich der Extras ließ sich Arrow nicht lumpen und inkludierte die bisher bekannten Features mit auf die Disc:

  • Audiokommentar mit Terry Gilliam und Produzent Charles Roven in Spielfilmlänge (keine Untertitel)
  • „The Hamster Factor and Other Tales of Twelve Monkeys“: Dokumentation über die Entstehung des Films, produziert im Jahr 1996 und erstmals auf DVD im Jahr 1997 veröffentlicht (87:34 Min.)
  • Twelve Monkeys Archive (Bildergalerie)
  • Theatrical Trailer (2:26 Min.)

Neue Extras:

  • The Film Exchange with Terry Gilliam: Interview mit dem Regisseur im Rahmen einer Retrospektive im Jahr 1996, zur Verfügung gestellt durch das British Film Institute (23:50 Min.)
  • Appreciation by Ian Christie: neues Video-Feature mit dem Biografen Terry Gilliams (16:11 Min.)
  • 44-Seitiges Booklet mit einem neuen Text von Nathan Rabin („The Audacity of Hopelessness“) sowie einem Ausschnitt aus Ian Christies Interview-Kapitel (1999) mit Terry Gilliam über den Film
  • Wendecover mit alternativem Artwork

Diagnose

12 MONKEYS ist nach all den Jahren immer noch frisch und – dank der neuen Restauration durch Arrow – knackiger denn je. Die Thematik rund um die Quellsuche nach einem globalen Killer-Virus bietet sich für unsere #Quarantainment-Reihe natürlich an. Doch avancierte 12 MONKEYS nicht nur zum Kultfilm und stellt einen Meilenstein in den Karrieren von Bruce Willis, Brad Pitt und Regisseur Terry Gilliam dar, er hat sich zudem über die vergangenen fast 25 Jahre als eine der originellsten Science-Fiction-Visionen und Dytopie-Varianten bewährt, die das englischsprachige Kino hervorgebracht hat. Aus heutiger Sicht bietet der Film – trotz abgefahrener Einfälle, die die Handschrift des Machers nicht leugnen – sehr echtes, greifbares Kino, dessen Bilder geradezu einnehmend auf den Betrachter wirken. Dieses Meisterwerk darf in keiner Sammlung fehlen.

© Stefan Jung

Titel, Cast und Crew12 Monkeys (1995)
Poster
Releaseseit 03.09.2007 als Blu-ray (Deutschland)
seit 15.10.2018 als Blu-ray bei Arrow Video (UK-Import)

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RegisseurTerry Gilliam
Trailer
BesetzungBruce Willis (James Cole)
Madeleine Stowe (Kathryn Railly)
Brad Pitt (Jeffrey Goines)
David Morse (Dr. Peters)
Christopher Plummer (Dr. Goines)
Frederick Strother (L.J. Washington)
Jon Seda (Jose)
DrehbuchDavid Webb Peoples
Janet Peoples
KameraRoger Pratt
FilmmusikPaul Buckmaster
SchnittMick Audsley
Filmlänge130 Minuten
FSKab 16 Jahren

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